Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
geworden.
Das Grundproblem, das auch Schwinger ausklammert, besteht in der erwähnten Widersprüchlichkeit der Elektrodynamik bei starken Feldern. Die moderne Theoriebildung übertüncht dies mit immer neuen Ausflüchten: Eine besonders dreiste besteht darin, den Wert der Feinstrukturkonstanten α ‚energieabhängig‘ zu machen, das heißt so lange zu verbiegen, bis er etwas besser mit den Beobachtungsdaten übereinstimmt – man nennt dies running constants . Wenn Sie Physik wirklich verstehen wollen, rennen Sie, sobald Sie diesen Begriff hören.
DER PARADIGMENWECHSLER
Ich mag Richard Feynman. Seine autobiografischen Notizen sind ebenso spannend wie witzig, seine Lehrbücher voll tiefer Gedanken, und trotz seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten schreibt er ohne Blendwerk und gesteht ein, was man noch nicht herausgefunden hat. Feynmans Kritik an der Stringtheorie ist brutal, und sein Beitrag zur Physik herausragend. Aber die Rolle, die er in der modernen Physik einnahm, war fast beängstigend groß, nicht nur wenn man an seine vielen Schüler und akademischen Enkel denkt.
(11) Richard Feynman
Er wurde in eine Zeit geboren, in der sich die Physik von der Orientierungslosigkeit erholen musste, in die sie die Quantentheorie gestürzt hatte. Mit Genialität, Kraft und Optimismus ausgestattet, wollte er sich nicht mehr mit den verstaubten Betrachtungen der Kopenhagener Deutung oder ihrer Gegner auseinandersetzen, sondern ersann seinen ganz eigenen Zugang. Mit dieser jungen Quantenelektrodynamik errang er dann seine glänzenden Erfolge. Es ist typisch für Feynman, dass er aus den mathematischen Unzulänglichkeiten der Theorie kein Geheimnis machte, sich aber dennoch wie ein kleiner Junge für ihre Erfolge begeistern konnte.
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Seitdem höre ich nie mehr auf die ‚Experten‘. Ich rechne alles selbst. – Richard Feynman
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Er befand sich auf der Sonnenseite der Physik, anders als grübelnde Denker wie Einstein oder gar Ernst Mach. Heute, wo die sonnigen Tage dem schwülen Durcheinander einer ausufernden Komplizierung gewichen sind, rächt es sich vielleicht, dass Feynman manche Gedanken von Einstein, Schrödinger und Dirac nicht ernst genug genommen hat, wie man seinen gelegentlich flapsigen Bemerkungen entnehmen kann. Es war für Feynman verlockend, sich vom Ballast unbeantworteter Fragen zu befreien, aber mit ihm ist die Physik zu leichtgewichtig geworden. Wenn die theoretische Entwicklung seit Jahrzehnten von einer Sackgasse in die nächste läuft, dann muss man sich an seine, Feynmans, Worte erinnern: „Jedes Mal, wenn wir in ein Wirrwarr allzu vieler Probleme und zu vieler Schwierigkeiten geraten, kommt das gerade daher, dass wir früher bewährte Methoden angewendet haben.“ Das gilt leider auch für die Methoden, die die ganze Welt von ihm übernommen hat – die der Quantenelektrodynamik.
DIE SCHÖNWETTERTHEORIE
Durch den scheinbaren Erfolg ihrer Vorhersagen werden die Konstruktionsfehler der Quantenelektrodynamik noch immer überblendet. Ein befreundeter Forscher erzählte mir kürzlich, Anträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die experimentelle Tests dazu vorschlagen, gelten momentan als chancenlos. Man wisse ja schließlich, dass die Quantenelektrodynamik genau stimmt – so als wäre sie die letzte Instanz und nicht das Experiment. Solche Scheuklappen sind gefährlich, zumal gerade Laser-Experimente entwickelt werden, mit denen man die Richtigkeit der Quantenelektrodynamik überprüfen könnte: Die damit erzeugten Felder werden bald so stark sein, dass dort Elektron-Positron-Paare spontan entstehen – und Materie aus Licht produziert wird! Spätestens dann sollte man sich daran erinnern, dass die Elektrodynamik selbst nicht ganz richtig sein kann.
Obwohl die Quantenelektrodynamik diesen Mangel in sich trägt, wurde ihr Konzept, alles mit einem Teilchenaustausch anstatt mit Kraftfeldern zu beschreiben, das herrschende Paradigma in der Theoretischen Physik. Zur Beschreibung der Kernkraft wurde eine ganz ähnliche Theorie mit dem farbenfrohen Namen Quantenchromodynamik erfunden, und die allgemeine Kopiervorlage der theoretischen Beschreibungen heißt Quantenfeldtheorie. Über die oft zitierte Ähnlichkeit der Theorien machte sich kein anderer als Feynman lustig: Es liege wohl daran, dass den Physikern nichts anderes mehr eingefallen sei, als „über das verdammt gleiche Ding nachzudenken“. 106 Im Übrigen ist die Übereinstimmung mit den Messdaten, die die geklonten Theorien
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