Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
erreichen können, äußerst mager. 107
Weist man darauf hin, bekommt man regelmäßig zur Antwort, die Theorie sei ausgezeichnet, nur leider, leider seien die vielen Umwandlungsprozesse von schwereren Teilchen in den Feynman-Graphen so vielfältig, dass man auch mit den schnellsten Supercomputern noch nicht viel ausrichten könne. Und außerdem seien die Kernkraft-Konstante und die Konstanten der übrigen Wechselwirkungen größer als die elektrische Konstante, was bedauerlicherweise zu einer großen Ungenauigkeit führe. Dafür könne man auch nichts. Obwohl das gemäß der internen Logik der Theorie noch nicht falsch ist, klingt es schon ein wenig wie ein Schuldner, der versichert, für Zinsen und Tilgung habe er zwar kein Geld, seine Bonität jedoch sei ausgezeichnet.
All das wäre noch nicht so schlimm, könnte man hoffen, dass zukünftige Rechenleistung die Vorhersagen weiter eingrenzt. Denken Sie aber an das Theorem von Freeman Dyson: Auch die schrittweise aufwendigeren Berechnungen nähern sich keineswegs dem richtigen Wert, sondern entfernen sich von diesem irgendwann wieder – wie ein Navi, das in der Nähe des Ziels die Orientierung verliert. In Kombination mit den viel größeren Konstanten der anderen Kräfte führt das zu der aberwitzigen Situation, dass eine physikalische Theorie sich selbst gestattet, mit ihren Vorhersagen von der Realität meilenweit abzuweichen.
Ab hier würde ich mich weigern, ihr auch nur für einen Cent Glauben zu schenken. Trotzdem ist die Meinung einhellig, dieser Ansatz sei der einzig Erfolg versprechende – was für ein Unsinn! Der gesamten Quantenfeldtheorie fehlt aus prinzipiellen Gründen die Vorhersagekraft – ein wissenschaftstheoretischer Papiertiger. Dass er so lange überlebt hat, liegt wahrscheinlich daran, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit experimentellen Daten wegen der oben genannten Ausflüchte nie stattgefunden hat. Mir ist klar, dass ich mit meiner Kritik nicht nur bei den Autoren zigtausender Veröffentlichungen auf wenig Gegenliebe hoffen kann, sondern mir sogar bei den Quantenfeldtheoretikern, die mit mir die Stringtheorie für Unsinn halten, die letzten Sympathien verscherze. Aber ich habe weder Dysons Beweis entdeckt noch die Konstanten der Kernkraft erschaffen. In der Kombination ist dies für die Quantenfeldtheorie tödlich – man kann sie nicht als überprüfbare Wissenschaft bezeichnen. Auch wenn es schmerzt, muss man diese Idee zu Grabe tragen und neu nachdenken.
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Was aber wunderbar erscheinen muss, ist die Art und Weise, in der es diesen geistreichen theoretischen Entwicklungen gelungen ist, unser Verständnis sechs Jahrzehnte lang in den von der Quantenfeldtheorie gezogenen Grenzen gefangen zu halten. 108 – Anthony Leggett
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BUSINESS AS USUAL
Gründlich nachgedacht über die Quantenelektrodynamik hat sicher Paul Dirac, aber auch er konnte sich mit Kochrezepten nicht anfreunden: 109 „Einige Physiker mögen sich mit einem Satz von Arbeitsregeln zufrieden geben, dessen Resultate mit der Beobachtung übereinstimmen. Sie meinen, das sei das Ziel der Physik. Aber das reicht nicht. Man will verstehen, wie die Natur funktioniert.“ Am Ende zog er das pessimistische Fazit: „Ich habe meine Arbeit darauf konzentriert, wie man Quantenelektrodynamik verbessert, und wenn ich spüre, dass eine Richtung nicht zum Ziel führt, verliere ich das Interesse daran.“ Hätten nur viele so eine Einstellung. Diracs Biograf Helge Kragh schreibt: 110
„Bohr, Dirac, Pauli, Heisenberg, Born, Oppenheimer, Peierls und Fock, jeder auf seine Weise, waren zum dem Schluss gekommen, dass das Versagen der Quantenelektrodynamik bei hohen Energien einen revolutionären Bruch mit den bisherigen Vorstellungen erforderte.“
Sicher trug der Misserfolg bei den Versuchen, die Quantentheorie gründlich zu verstehen, zu einer oberflächlich-technischen Sicht der Dinge bei. Nimmt man die Bedenken der erwähnten Physiker aber ernst, hätte sich die Physik seit vielen Jahrzehnten mit Flickwerk beschäftigt. Womöglich ist es auf die Dauer für die Psyche unerträglich, sich als junger Forscher permanent das Scheitern einzugestehen. Kragh schreibt weiter:
„Ganz anders dagegen die junge Generation in den 1930er Jahren: Mit den neuen Teilchen wurden die empirischen Widersprüche abgemildert … bis zum Ende des Jahrzehnts hatten die meisten jungen Theoretiker gelernt, mit der Theorie auszukommen, sie passten sich an, ohne sich zu sehr um die fehlende
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