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Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Titel: Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Unzicker
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Zeiten die Regel. – Friedrich Nietzsche
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REPRODUZIERBAR STATT BETRIEBSBLIND
    Durch eindrucksvolle Anlagen wie das CERN gerät heute ein unverzichtbarer Teil der naturwissenschaftlichen Methodik in Vergessenheit: Reproduzierbarkeit, die bedeutet, dass ein Versuch allein mit Hilfe seiner Dokumentation wiederholt werden kann. Und damit haben alle heutigen Großprojekte ein Problem. Bei gigantischen Aufbauten, die sich die Welt nur ein Mal leisten kann, ist Reproduzierbarkeit schon aus praktischen Gründen schwierig. Zwar gibt es an den großen Collidern verschiedene Detektoren mit getrennten Arbeitsgruppen, und so widersprach mir ein von mir sehr geschätzter Teilchenphysiker: „Die ‚checks and balances‘ gibt es hier durch konkurrierende Gruppen wie ATLAS und CMS am Large Hadron Collider oder D0 und CDF am Tevatron. Mehr oder weniger können sie sich gegenseitig nicht leiden und halten aktiv dagegen, wenn eine Behauptung schwach ist.“
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    Alternativen … können nicht entstehen in riesigen Communitys, deren einziges Ziel in der Verwaltung einer Monokultur besteht. 195 – Bert Schroer, theoretischer Physiker
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    Diese an die Tagespolitik erinnernden Scharmützel können aber kein grundlegendes Fehlkonzept aufdecken, das seit längerem im Fachgebiet etabliert ist. Denn allgemeine Methoden, wie man etwa den Hintergrund entfernt oder auf welche Weise Simulationen modelliert werden, unterscheiden sich nicht. Die konkurrierenden Kollaborationen hinterfragen die Grundlagen so wenig wie Pepsi und Cola unsere Ernährungsgewohnheiten. Im Übrigen werden sie sich auch gegenseitig über die Schulter schauen, so wie dies vor dreißig Jahren schon üblich war. [60] Von unabhängiger Reproduzierbarkeit kann also nicht die Rede sein. Dies alles, um es nochmals zu betonen, ist weder böser Wille noch mangelnde Kompetenz der Beteiligten, sondern Konsequenz von Big Science , die keine Ergebnisse mehr liefern kann, weil die Voraussetzungen wissenschaftlicher Methodik verloren gegangen sind. Soziologisch too big to fail , aber in der Sache längst too big to deliver , ist Big Science ein Monstrum mit einem Eigenleben, das aus historischen Gründen noch ein paar Namen gemeinsam hat mit einer Wissenschaft, die vor hundert Jahren blühte – Physik, wo bist du?
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    Big science may destroy great science. – Karl Popper
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MIT GLASNOST ZUR DEMOKRATIE
    Wie könnte man aber Reproduzierbarkeit bei Großprojekten wie dem Large Hadron Collider umsetzen? Ein wunder Punkt ist die fehlende Aufzeichnung: Wie soll jemand die heutigen Experimente nachbauen, nach fünfzig oder hundert Jahren, wenn es keine direkte Überlieferung mehr gibt? Mit Hilfe von ein paar gedruckten Veröffentlichungen? Was ist mit den Millionen Zeilen von Computercode, der für die Auswertung essenziell ist? Ist das alles nachhaltig dokumentiert? Wenn schon das Experiment selbst kaum nachgebaut werden kann, so muss man wenigstens die Daten so gut wie möglich konservieren.
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    Ein großer Aufwand, schmählich! ist vertan. – Johann Wolfgang von Goethe
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    Neben den völlig ungefilterten Daten ohne Trigger, genannt minimum bias data , den weiteren Verarbeitungsstufen nach Kalibrierungen ( data summary tape, DST und Mini-DST), müssten vor allem die Aufzeichnungen der Treffer in den Detektoren bei den entsprechenden Energien, genannt common ntuples, frei verfügbar sein. [61] Wenn das wegen der Datenmenge nur zum Teil möglich ist, nun gut. Bisher ist jedoch keine einzige Teilchenkollision im Internet, die irgendjemand ohne das Spezialwissen der Kollaborationen auswerten könnte – und das ist heutzutage eigentlich ein Skandal.
    Wenn man sich verlaufen hat, muss man sämtliche bisherigen Begriffe in Frage stellen und den Blick aufs Ganze richten, unbelastet von den Modellen, die sich als untauglich erwiesen haben – aber das ist heute unmöglich. Selbst wenn sich ein Teilchenphysiker von den Denkschemata der vergangenen Generationen befreite, könnte niemand mit den Ergebnissen des CERN etwas anfangen, weil sie in einer Sprache formuliert sind, die schon die Denkweise vorgibt. Die Doktrinen der Interpretation können sich nur durch freien Zugang auflösen: Details der Rohdaten müssen öffentlich sein und alle Auswertungsschritte müssen erläutert werden, mit einsehbarem Code von Open-Source-Programmen, die jeder Wissenschaftler über das Internet bedienen kann. Vielleicht ist das eine naive Vision, aber – ganz ohne Ironie – ich denke, in

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