Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
herumspazierte, während ihre Tochter tot war, setzte ihr zu. Und der selbstgefällige Bastard schien überhaupt keine Reue zu empfinden. Da hatte er nun also mit der Tochter einer Polizistinangebandelt, nichts weniger als das. Er verhielt sich so, als wäre er unangreifbar. Und vielleicht war er das auch. Sie und Jazzy hatten die Plakate aufgehängt und das war ein gutes Gefühl, als hätte sie ihn verwarnt und den Rest der Gemeinde zur Vorsicht ermahnt, aber was bedeutete es auf lange Sicht? Wenn er hier nicht mehr willkommen war, würde er einfach weiterziehen, da war sie sich sicher. Dann würde er sich eben mit seinem Charme und seiner manipulativen Art an einem anderen Ort einschmeicheln. Und niemals für das bezahlen, was er Melinda angetan hatte. Niemals eine Strafe dafür erhalten, dass er ihrer aller Leben zerstört hatte.
Jazzy stürmte in die Küche, Carson an seinem Hemd hinter sich herziehend. »Hallo Rita«, sagte sie. »Rate mal was!« Rita hatte keine Ahnung und sah sie einfach nur verständnislos an. »Okay, ich sag’s dir«, fuhr Jazzy fort und wechselte einen aufgeregten Blick mit Carson. »Ich habe gerade eben mit Laverne telefoniert. Sie und Marnie haben Troy aus dem Ferienlager abgeholt und sind auf dem Rückweg hierher! Ist das nicht wunderbar?«
Rita leerte ihren Becher mit Kaffee und antwortete dann: »Das ist ja großartig.« Sie versuchte, begeistert zu klingen, aber ihre Antwort fiel ziemlich nüchtern aus. »Kimberly hat also einfach zugelassen, dass Marnie Troy mitnimmt?«
»Yep. Jedenfalls für die nächsten sechs Wochen, während sie verreist ist. Marnie nimmt ihn zu Besuch mit nach Wisconsin.«
»Der Wagen dürfte dann ziemlich voll werden, meinst du nicht?«, fragte Rita.
»Wir überlegen uns was.«
»Wann kommen sie hier an?«
»Wahrscheinlich erst morgen«, antwortete Jazzy. »Ich meine, es ist eine sehr weite Fahrt. Sie müssen bestimmt irgendwo übernachten.« Als sie Ritas Gesichtsausdruck sah, fügte sie hinzu: »Aber wir hatten doch ohnehin vorgehabt, so lange unterwegs zu sein, oder? Wir kommen trotz allem zur geplanten Zeit zurück, nur haben wir beide unterwegs einen Halt eingelegt.«
»Sie wissen ja, dass Sie gerne bei uns bleiben können, so lange es nötig ist«, warf Carson sanft ein. »Meinen Eltern ist das recht.«
»Ja.« Rita schluckte ihre Enttäuschung herunter. »Ihre Familie hat sich uns gegenüber großartig verhalten und das wissen wir unbedingt zu schätzen.«
Jazzy trat von hinten an sie heran und legte ihr die Arme um. »Ich weiß, dass du niedergeschlagen bist«, flüsterte sie, »aber alles wird wieder besser, du wirst schon sehen.«
Rita tätschelte ihren Arm und fragte: »Sagst du das als Medium oder als unverbesserliche Optimistin?«
»Ich glaube, ein wenig als beides.« Jazzy ließ sie los, trat zurück und warf ihr einen besorgten Blick zu. Rita kannte diesen Ausdruck. Seit Melindas Tod hatte sie ihn oft gesehen. Die Leute fühlten sich so hilflos, wenn ein Mitmensch seelische Schmerzen litt. Sie hatte gelernt, ihre Freunde ihrerseits zu trösten, wenn deren wohlmeinende Versuche, sie aufzumuntern, nach hinten losgegangen waren.
Rita zwang sich zu einem schwachen Lächeln. Jazzy meinte es gut mit ihr. Es brachte nichts, wenn sie den Leuten ein schlechtes Gefühl machte. Aber dennoch war sie froh, als alle ins Restaurant gefahren waren und sie das Haus für sich hatte. Um etwas zu tun zu haben, machte sie ihren Koffer für denAufbruch am nächsten Tag fertig, ging dann nach draußen und brachte das Innere des Wagens in Ordnung, räumte die Schokoriegelverpackungen und die leeren Plastikflaschen weg. Hinten war es besonders schmutzig, auf dem Sitz lagen Kartoffelchipskrümel und die Fenster waren mit irgendetwas Klebrigem verschmiert. Sie wischte die hinteren Fenster mit einem feuchten Papierhandtuch ab, besser ging es vorläufig nicht. Als sie wieder im Haus war, räumte sie den Frühstückstisch ab, schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein und schaute auf die Uhr. Es war erst eine halbe Stunde vergangen. Das Warten auf die Rückkehr von Laverne und Marnie würde zur Qual werden.
Rita saugte gerade im Wohnzimmer und schob den Staubsauger in geraden, gleichmäßigen Bahnen hin und her, als es an der Tür läutete. Beim ersten Klingeln hielt sie nur inne, da sie sich nicht sicher war, was sie gehört hatte. Beim zweiten Mal war klar, dass es sich wirklich um die Türglocke handelte. Sie schaltete den Staubsauger aus und lauschte. Da war
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