Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
Es war Brians Schuld – allerdings war sie sich nicht ganz sicher, ob von seiner Seite eine Absicht dahintergestanden hatte. Wahrscheinlich hatte er sich wirklich im Stich gelassen gefühlt und Marnie hatte die Leere ausgefüllt. Danach waren sie alle in ein eingefahrenes Gleis geraten. Über reine Oberflächlichkeit war er nie hinausgekommen. Seine ganze Familie war so. Auf Hochzeiten und Beerdigungen hatte sie im Laufe der Jahre seine ganze Verwandtschaft kennengelernt. Man klopfte sich gegenseitig auf die Schulter und erzählte Witze, aber tiefergehende Gespräche hatte es nie gegeben.
»Ich bringe das nur zur Sprache, weil mir inzwischen klar geworden ist, dass ich Sie damals bei der Beerdigung unwissentlich abserviert habe. Erst als Troy mich letzte Woche aufgeklärt hat, habe ich begriffen, dass Sie nicht die Haushälterin waren.« Sie trank einen Schluck Kaffee. »Außerdem wollte ich Ihnen dafür danken, dass Sie sich an meiner statt um Troy gekümmert haben. Sie waren eine gute Ersatzmutter.«
Marnie musste ihre Empörung herunterschlucken. »Ich habe es nicht für Sie getan«, erklärte sie, aber bevor sie noch mehr sagen konnte, sprang Laverne ein.
»Marnie war Troy eine sehr gute Mutter«, erklärte sie voll Überzeugung. Wer es nicht besser wusste, hätte meinen können, sie hätte es aus erster Hand miterlebt. »Sie hat ihn wirklich sehr vermisst, seit er hier ist. Es war schrecklich für sie.«
»Ich hatte keine Ahnung, wie viel Arbeit so ein Teenager machen kann«, fuhr Kimberly fort, als hätte sie sie gar nicht gehört. »Ich dachte, er ist erwachsen. Er braucht keinen Babysitter mehr. Es ist Sommer, also ist keine Schule. Er kann sich selbst etwas zu essen machen. Ich weiß, dass ich viel arbeite, aber die Haushälterin ist hier. Als er sagte, dass er sich langweilt, habe ich ihm vorgeschlagen, ein paar Kurse zu besuchen. Ich habe sogar meinen Assistenten recherchieren lassen, was in Frage kommt, aber Troy hatte zu nichts davon Lust. In seinem Alter wäre ich froh gewesen, einmal Langeweile zu haben. Er hat das ganze Haus, das Schwimmbecken, einen Computer, den Fernseher, Filme und Videospiele. Aber nichts davon macht ihn glücklich. Er besucht nie irgendwelche Kinder in der Nachbarschaft. Ich weiß einfach nicht weiter. Ich habe keine Zeit, die Animateurin zu spielen.«
»Sie sind sechs Wochen verreist?«, fragte Marnie.
»Genau, sechs Wochen. Ich mache das jedes Jahr. Ich besuche eine Woche lang eine Konferenz und von dort aus reise ich dann los und suche all meine Lieferanten auf. So am Stück ist das wahnsinnig aufreibend, aber äußerst wichtig für mein Geschäft. Als ich dieses Ferienlager gefunden habe, dachte ich, wenigstens für den Sommer wäre damit alles geregelt, und habe ihn für sechs Wochen angemeldet. Ich hatte mir überlegt, dass er so keinen Unfug anstellen kann, und vielleicht würde er ja Freunde finden. Aber dass er krank geworden ist, hat mir einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. All meine sorgfältige Planung war umsonst.« Sie warf die Hände hoch. »Ich sage Ihnen, meine Hunde machen weniger Ärger.«
»Na ja«, warf Laverne ein, die Hände unterm Kinn gefaltet. »Aber das sind eben Hunde.«
»Ich habe eine Idee«, meinte Marnie. »Lassen Sie ihn mich doch mit nach Wisconsin nehmen, während der sechs Wochen. Ich habe Sommerferien, ich kann auf ihn aufpassen.«
Kimberly trommelte mit ihren langen, manikürten Fingernägeln auf der Tischplatte herum. »Na ja, ich dränge Ihnen das nicht gerne auf, aber wenn es Ihnen nichts ausmacht?« Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Es wäre keine Last für mich«, erklärte Marnie fest. »Nichts wäre mir lieber.«
Kimberly stieß die Luft aus. »Also, wenn es Ihnen nichts ausmacht, wäre das wundervoll. Ich kann Ihnen die Kosten erstatten, die er Ihnen während seines Besuchs verursacht.«
»O nein, das ist nicht nötig«, erklärte Marnie. »Ich möchte gern Zeit mit ihm verbringen. Er hat mir wirklich gefehlt. Er kann seine Verwandten väterlicherseits besuchen und seine Freunde treffen. Das wird wunderbar.«
»Marnie, Sie sind meine Rettung.« Kimberly blickte zur Uhr und schob den Kaffeebecher weg. »Ich weiß, dass das jetzt ein wenig unvermittelt kommt, und ich möchte auch nicht unhöflich sein, aber nachher geht mein Flugzeug, und ich bin noch längst nicht fertig. Ich gebe Ihnen eine Vollmacht und eine Wegbeschreibung zum Ferienlager. Um alles andere können wir uns später kümmern. Rufen Sie mich an,
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