Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
nickte. »Mitte des Monats. Es ist so ein Survivaltraining nicht weit von seiner Mutter zu Hause. Es dauert sechs Wochen. Troy sagte, seine Mom hätte ihn irgendwo unterbringen müssen, weil sie nach Europa reist. Er ist stinksauer deswegen. Ich habe ihm gesagt, er soll sich nicht umbringen.«
»Warum denn das?«, fragte Marnie aufgeschreckt. »Hat er
gesagt
, dass er sich umbringen will?«
»Nein.«
»Warum hast du es dann gesagt?«
Matt zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Sein Dad ist gerade gestorben und er musste umziehen. Der Typ ist deprimiert, so viel ist klar. Er ist nie auf Facebook und wenn ich ihm simse, ist er schlecht drauf.«
»Ich hätte ihn gerne für sechs Wochen genommen, wenn er irgendwo unterkommen musste. Ich bin nicht einmal gefragt worden«, sagte Marnie.
»Ja, daran hatte er auch gedacht, aber seine Mom hatte sich dieses Ferienlager in den Kopf gesetzt.«
»Er fehlt mir schrecklich«, meinte Marnie. »Ich kann dir gar nicht sagen wie sehr. Es zerreißt mir das Herz.«
»Ja«, gab Matt zurück. »Er vermisst dich auch.«
»Woher weißt du das?«
»Er hat es gesagt«, meinte Matt achselzuckend. Dann schien er das Interesse an dem Gespräch zu verlieren, nahm einen Granatapfel in die Hand, warf ihn hoch und fing ihn mühelos wieder auf.
Marnie streckte die Hand aus und nahm ihm die Frucht weg. »Er hat
gesagt
, dass er mich vermisst?«
»Na ja, ja.«
»Genau mit diesen Worten? Er hat gesagt: ›Ich vermisse Marnie‹?« Sie trat näher und packte ihn am Arm. »Das hat er gesagt?« Matts Gesicht war anzusehen, dass ihr fester Griff ihn verstörte, aber das war ihr egal. Das hier war wichtig.
»Nicht mit genau diesen Worten. Er hat gesagt ...« Matt blickte auf, als könnten ihm die Deckenplatten das Stichwortliefern. »Er hat gesagt, er würde lieber noch hier bei dir leben. Seine Mom ist wohl viel weg. Sogar nachts und an den Wochenenden.«
Marnie ließ ihn los. »Wo geht sie denn hin?«
Matt wirkte verlegen. »Ich weiß es nicht.«
»Sie sollte ihn nicht allein lassen.«
»Troy ist alt genug, um allein zu Hause zu sein. Es gefällt ihm nur einfach nicht.« Er trat zurück und blickte weg. »Ich muss jetzt los. Ich glaube, meine Mom braucht mich.« Und ohne sich zu verabschieden, machte er kehrt und ging davon.
Marnie rief ihm nach: »Matt, Moment noch!«
Er blieb stehen. »Yeah?«
»Du hast gesagt, Troy geht Mitte des Monats ins Ferienlager. Hat er dir ein genaues Datum genannt?«
»Nee, nur, dass es bald ist.«
»Okay. Danke.«
Marnie blieb bei den Bananen stehen und verarbeitete, was Matt gesagt hatte. Troy vermisste sie. Er vermisste sie wirklich. Und er hasste Las Vegas. Na gut, Matt hatte nicht das Wort ›hassen‹ verwendet, aber diese Interpretation war nicht allzu übertrieben. Und Kimberly war überhaupt nie zu Hause. Typisch. Brian zufolge ging Kimberly gerne in hochpreisige Boutiquen, teure Restaurants und in moderne Kunstgalerien. Das waren wohl kaum die Orte, die einen Teenager interessierten. Und jetzt schob sie Troy für sechs Wochen in ein Ferienlager ab, wo Marnie doch überglücklich gewesen wäre, ihn aufzunehmen. Wie unfair.
Marnie hatte jahrelang von Kimberly reden hören, aber jetzt begriff sie, dass sie diese Frau überhaupt nicht kannte. Gott allein wusste, was dort vor sich ging und was Troy erdulden musste.
Eine korpulente, rothaarige Frau stellte ihren Einkaufswagen ab und griff an Marnie vorbei nach einem Bündel Bananen. Marnie trat ihr aus dem Weg und machte mit dem Einkaufen weiter. Als sie den Wagen zum Teigwarengang schob, fällte sie eine Entscheidung.
Sie würde nach Las Vegas fahren.
11
Jazzy musste ihre Arbeitswoche zu Ende bringen und Rita brauchte Zeit, um vorzukochen und die Gefriertruhe für ihren Mann zu bestücken. Daher wurde die Abfahrt auf Samstag gelegt. Marnie wartete nur ungern, aber sie wollte auch nicht allein fahren.
Als der Tag des Aufbruchs nahte, war Marnie bereit. Sie hatte den Postlagerservice beantragt, die Milch aufgebraucht, verderbliche Lebensmittel weggeworfen und die Wohnzimmerlampe mit einer Zeitschaltuhr verbunden. Sie überlegte, ob sie ihrer Mutter und ihren Geschwistern Bescheid geben sollte, entschied sich aber dagegen. Sie war ja nur eine Woche weg. Öfter telefonierten sie ohnehin nicht miteinander. Und sie würde ihr Handy mitnehmen. Wenn jemand sie wirklich erreichen wollte, stand dem nichts entgegen.
Seit ihrer Begegnung mit Matt im Supermarkt konnte sie kaum mehr schlafen. Immer
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