Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
habe dieses Bauchgefühl, dass es wichtig für uns ist, sie auf der Reise dabei zu haben.«
Rita seufzte. »Jazzy, ich bin nicht gerne die Spielverderberin, aber wir stoßen jetzt schon an unsere Grenzen. Es wird schon zu dritt schwierig genug werden.«
»Ich glaube nicht, dass sie viel Platz braucht«, meinte Jazzy und erinnerte Marnie damit an ein Kind, das um einen Hund bettelt. »Zwei vorne und zwei hinten, das würde prima hinkommen.«
Die Haustür flog auf und eine kleine alte Dame mit weißem Kraushaar und einer Drahtgestellbrille trat, einen Koffer schleppend, auf die Vortreppe hinaus. »Ich bin so weit, ich bin so weit«, rief sie den drei Frauen zu. Als sie auf den Bürgersteig trat, fiel die Tür krachend hinter ihr zu. »Ich kann euch Mädels gar nicht genug dafür danken, dass ihr mich auf eure Reise mitnehmt.«
13
Jazzy, die Laverne dabei beobachtete, wie sie ihr Gepäck auf dem Bürgersteig hinter sich herzog, dachte darüber nach, wie sehr deren Aussehen sich in den letzten zehn Minuten verändert hatte. Sonderbar, dass man das Wort ›gealtert‹ verwendete, um zu beschreiben, dass jemand älter aussah, dass es aber für den umgekehrten Prozess kein Wort gab. Keiner sagte jemals, jemand habe sich verjüngert. Doch Laverne sah definitiv so aus, als hätte sie einige Jahre abgeworfen. Die Falten in ihrem Gesicht waren immer noch da, aber durch ihr Lächeln fielen sie weniger auf. Auch ihre Körperhaltung war anders. Nicht mehr gebeugt, sondern aufrecht, und sie ging mit lebhaften Schritten. Die Frau musste mindestens fünfundsiebzig sein, aber das merkte man ihren Bewegungen nicht an.
»Hallo Laverne«, sagte Jazzy.
Laverne blieb auf dem Bürgersteig stehen und tätschelte ihren Koffer, als wäre er ein gehorsamer Hund. »Danke, dass ihr gewartet habt. Ich hätte schneller sein können, aber ich musste meinen Sohn anrufen und ihm sagen, dass er sich um Oscar kümmern soll.«
»Um Oscar?«, fragte Marnie.
»Mein Kater«, antwortete Laverne.
»Laverne, ich möchte dir Rita vorstellen«, sagte Jazzy. »Das hier ist ihr Auto. Und das dort ist natürlich Marnie, deine Nachbarin von oben.«
»Hallo«, meinte Laverne schroff und winkte ihnen kurz zu. »Ich hoffe, ihr erwartet nicht, dass ich mich beim Fahren mit euch abwechsele. Ich habe meinen Führerschein nämlich nicht verlängern lassen und er ist vor einer Weile abgelaufen.«
»Was das angeht«, meinte Jazzy, »muss ich dir leider sagen, dass ich schlechte Nachrichten für dich habe.«
»Oh?« Laverne runzelte die Stirn.
Jazzy rang mitfühlend die Hände. »Ja ...«
Rita unterbrach sie. »Lass mich es ihr sagen, Jazzy, da es mein Wagen ist.« Sie lächelte Laverne strahlend an. »Du musst wahrscheinlich den größten Teil der Fahrt hinten sitzen. Wir hatten die Sitzverteilung schon besprochen, bevor wir wussten, dass du mitkommst.«
Jazzy hatte schon irgendwie geahnt, dass Rita ihre Meinung ändern würde, aber Marnie war eindeutig überrumpelt und zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Alles klar«, sagte Laverne. »Mir ist es egal, wo ich sitze, solange ihr mich nicht in den Kofferraum steckt.«
»Sei nicht albern«, meinte Jazzy. »Der Kofferraum ist voll.«
Er war tatsächlich beinahe voll. Es war gerade noch Platz für Lavernes Koffer und mehr nicht. Jazzy schlug den Kofferraumdeckel krachend zu und setzte sich zu Rita auf den Beifahrersitz. Hinten hantierten Marnie und Laverne mit ihren Sicherheitsgurten herum. Es klackte zweimal und dann gab Marnie das Okay zum Losfahren.
»Also«, sagte Jazzy mit einem Blick auf ihr Navi, »wenn wir vier Stunden durchfahren, können wir zum Essen halten in ...«
»Ach was, Schatz«, unterbrach Rita sie. »Ich kann dir jetzt schon sagen, dass wir auf dieser Reise niemals vier Stunden durchfahren werden.«
»Warum denn nicht?«
Rita lachte und fuhr los. »Du bist ja noch ein Baby, darum hast du wahrscheinlich keine Ahnung, aber wenn du mit alten Weibern unterwegs bist, musst du massenhaft Toilettenpausen einkalkulieren.«
14
Jazzys Anweisungen folgend wandte Rita sich nach Westen und fädelte sich dann auf die Schnellstraße ein. Seit der Erfindung der Klimaanlage waren Navigationssysteme das Beste, womit Autofahrer je beglückt worden waren. Jazzy hatte ihr Navi »Garmina« genannt und eine Ansage mit britischem Akzent eingestellt. Von dieser Option hatte Rita gar nichts gewusst. »Garmina klingt einfach höflicher, wenn sie mit englischem Akzent spricht«, meinte Jazzy. »Die
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