Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
einem Freund gefahren, einem Mechaniker, und hat mit ihm den Crown Victoria zu dessen Werkstatt abgeschleppt.« Marnie bedankte sich für den Teller und die Tasse und Rita setzte sich wieder zum Frühstücken auf ihren Stuhl.
»Das sind wirklich gute Nachrichten.« Marnie trank einen Schluck Kaffee. Stark, aber nicht zu bitter. Genau das, was sie brauchte. »Wo sind denn die anderen?«, fragte sie. Im Haus war es unerwartet still.
»Beth, Mike und Carson sind schon losgefahren, um das Restaurant zu öffnen. Jazzy ist zum Helfen mitgekom men.«
»Und sie haben uns einfach hier zurückgelassen?«, frag te Marnie, überrascht, dass die Kents so vertrauensselig waren. Sie blickte sich in dem ordentlichen Haus um und fragte sich, ob sie in der umgekehrten Situation wohl ebenfalls darauf vertrauen würde, dass die wildfremden Gäste nichts stehlen oder kaputt machen würden.
»Arbeit ist Arbeit«, meinte Laverne. »Sie haben gesagt, wir sollen es uns derweil gemütlich machen. Einer von ihnen holt uns mittags ab, damit wir bei ihnen im Restaurant essen können.«
»Preston Place?«, fragte Marnie. »Was hat es damit eigentlich auf sich?«
»Ja«, meinte Laverne. »Warum habt ihr beide, du und Jazzy, ein solches Theater darum gemacht?«
Rita gab mehr Sahne in ihren Kaffee und erwiderte dann: »Wollt ihr es wirklich wissen?«
»Natürlich. Sonst hätten wir doch nicht gefragt, oder?«, gab Laverne zurück.
Daraufhin erzählte ihnen Rita von den Hirschkühen auf dem Rastplatz, ein Schauspiel, das Marnie versäumt hatte, weil sie sich ein 7UP kaufen wollte und den Getränkeautomaten nicht dazu bringen konnte, ihre Geldscheine anzunehmen. Während Marnie drinnen gewesen war und ihre Dollarscheine immer wieder glattgestrichen hatte, hatte Rita so eine Art himmlisches Zeichen erhalten. Oder zumindest sah sie es so. Marnie wollte keine Spielverderberin sein, aber sie hatte ein solches Verhalten von Hirschen und Ziegen schon im Streichelzoo gesehen. Und sie wusste, dass Menschen, die sich nach einem Zeichen sehnen, oft Dinge sehen, die gar nicht da sind.
»Daher wusste ich sofort, dass es meine Tochter Melinda war.« Als sie mit ihrer Geschichte fertig war, wandte Rita sich wieder ihrem Teller zu und nahm sich ein Stück gebutterten Toast.
»Weil sie früher Hirsche gesammelt hat«, meinte Laverne, stolz darauf, alles begriffen zu haben.
»Genau. Und in dem Moment hörte Jazzy, wir sollten in Colorado im Preston Place Halt machen. Und jetzt sind wir direkt dorthin geführt worden.« Sie knabberte an ihrem Toast, einen zufriedenen Ausdruck im Gesicht.
»Dann war also die kaputte Lichtmaschine Teil des Ganzen? Das Universum hat die Autopanne verursacht?« So aufgeschlossen Marnie auch war, das war doch eine starke Behauptung.
Rita zog eine Augenbraue hoch. »Wer kann das sagen? Es sind schon merkwürdigere Dinge passiert.«
30
Jazzy war früh am Morgen aufgewacht und hatte sich angezogen, während Rita noch schlief. Als sie nach unten ging, war Carson schon auf, las und trank Kaffee aus einem großen Becher. »Guten Morgen!«, sagte er, klappte sein Buch zu und begrüßte sie herzlich. »Jazzy heißt du, nicht wahr?«
»Genau«, antwortete sie und zog sich so selbstverständlich einen Stuhl heran, als wäre sie in ihrem eigenen Haus. So unverkrampft, als wären sie und Carson alte Freunde. Gestern Abend war alles so schnell gegangen, dass sie keine Gelegenheit gehabt hatte, ihn sich wirklich anzuschauen. Er sah gut aus, das erkannte sie jetzt. Nicht gerade ein Schönling, aber jedenfalls überdurchschnittlich. Er hatte dunkle Locken und strahlend blaue Augen, eine seltene Kombination. Sein breites Lächeln enthüllte gerade, weiße Zähne. Sein langärmliges Button-down-Hemd bedeckte das Totenkopf-Tattoo. Ohne das sah er mehr wie ein Collegestudent als wie ein Motorradkumpel aus.
Sie wären die ersten, die auf waren, sagte er und bot ihr Kaffee, Saft und Vollkorntoast an, woraus auch sein Frühstück bestand. Im Haus war es abgesehen vom Ticken einer Wanduhr still. Selbst in der kühlen Küche spürte sie, wie sichdraußen der Sommer regte. Die Sonne war gerade erst über den Horizont gestiegen und ihre Strahlen streiften das Fenster. Die Juniluft hatte eine besondere Leichtigkeit. Jazzy ließ sich von ihm bedienen und aß genüsslich. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig sie war. Vielleicht war das der Grund für die Kopfschmerzen gestern Nacht.
Carson stemmte die Ellbogen auf sein Buch. Es war ein Roman, den
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