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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Boxchampion Sonnenwind erbarmungslos einschlug und das doch immer wieder in seine aufrechte Position zurückschnellte; eine Welt, in der kleine karminrote Vögel mit weichem Gefieder sich auf den Dornen aufspießten.
    In seiner Desorientiertheit durch die Sonne und ihre Hitze empfand Roger beschämt eine Vorahnung seines Scheiterns. Der heutige Aufenthalt in der Wüste war nur eine Probe, und wenn die Hitze eine solche Wirkung ausübte, wie konnte er dann eine «echte» Reise heil überstehen? Oder hatte er von dieser Reise mehr gelernt als gedacht, und es war nicht mehr nötig, die Wirklichkeit seines Traums einer Prüfung zu unterziehen? Warum sollte er? Immer hatte man beim Versuch, die Wirklichkeit zu überprüfen, alle möglichen Probleme und Misserfolge, nicht nur mit der Sache selbst, sondern auch mit dem Denken, das sich zwanghaft mit Dualismus beschäftigt. Im Augenblick der Nähe zu dem Wüstenhasen gelangte Roger zu der Überzeugung, dass nicht nur sein Leben ein Geschenk für ihn selbst und für andere war, sondern dass auchder ihm zustehende Anteil an Sonnenlicht und der Schatten, den die Sonne mittels seiner Gestalt erzeugte, zugleich sein Besitz und sein Geschenk an andere waren. Warum also wirklich in eine «echte», «totale» Wüste gehen? Sogar der technische Aufwand der paar Kilometer Autofahrt vom Haus der Garretts bis hierher war unnötig gewesen. Er wusste, dass er nicht von der Währung der akzeptablen Realität zum Überleben verlockt werden konnte. Doch warum ihr unbedingt immer näher kommen wollen, bis man wie ein Abziehbild in die riesige Originalstickerei eingebrannt wurde?
    Vom Auto mit Doris und Theo war noch immer nichts zu sehen. Roger betrachtete seine Haut und hatte das Gefühl, dass die an ihr hinunterrieselnden Schweißperlen Tropfen schmelzenden Fleisches waren, dass er zu schmelzen begann wie Wachs, und wenn er Flügel hätte wie Ikarus, würden auch diese schmelzen; es gab keine Garantie, dass Flügel ewig hielten. Im Kensington-Museum hatte er eine Nachbildung des Mannes gesehen, der sich aus Federn Flügel gebaut hatte: Selbst ohne den Versuch zu fliegen, aufgehängt im Museum, waren die Flügel des Vogelmenschen, von Motten zerfressen, einer Beschädigung nicht entgangen.
    Roger schloss die Augen, hinter denen es pochte. Er konnte ohnmächtig werden, dachte er, und niemand würde davon wissen. Er war nun Teil der sonderbaren Hierarchie aus Hase, Mensch und Verkehrsschild. Er konnte hier sterben, in diesem schmalen Buchstabenschatten, bevor er seinen Traum verwirklicht hatte; er konnte sterben, als ein Mensch, dessen Werk zunichtegeworden war.
    «Zu Härterem
    als zum Triumph geboren …
    sei verschwiegen und frohlocke,
    Denn das ist das Schwierigste
    von allem.»
    Noch immer nichts vom Auto zu sehen. Keine Tiere, nicht einmal der Wüstenhase, der für immer verschwunden war, nachdem er den erschreckenden Fehler begangen hatte, den Schatten eines Menschen aufzusuchen (als wären Menschen Bäume); nur die Laute der Vögel, die in ihren unsichtbaren Verstecken zwitscherten, glucksten, trällerten.
    Dann sah Roger das Auto, es blitzte auf wie eine Feuerwerksrakete, wie eine fahrende Sonne in Form eines Autos, auf Hochglanz poliert, Licht ausstrahlend mit seiner Spiegelkraft, die mitunter die Sonne einfing in einem lodernden Feuer aus Stahl und Chrom. In seiner Vorwärtsbewegung wirkte das Auto kostbar, wie ein Juwel, als wäre seine Verwendung als Transportmittel und Tötungsinstrument bloßer Menschen und Güter eine Entwürdigung seines eigentlichen Zwecks. Er konnte erkennen, dass Doris am Steuer saß, ohne Zweifel in einem Anzug und Schuhen aus Chrom, mit Spiegeln auf den Brüsten, die immer, wenn sie in der Sonne aufblitzten, Feuerstrahlen aussandten.
    «Sie sollte nicht fahren», sagte Roger, plötzlich ausgestoßen von Sonnenebene und Wüstentraum. «Sie ist keine gute Autofahrerin.» Und warum war sie allein im Auto?
    Doris blieb stehen und öffnete die Tür.
    «Komm um Himmels willen aus dieser Hitze!»
    Vornehm schweigend, hob Roger seinen Rucksack ins Auto und stieg ein.
    «Ich fahre», sagte sie.
    Er betrachtete sie. Nichts, dachte er, konnte ihren Wangen die gesunde Frische nehmen. Und doch sah auch sie mitgenommen von der Hitze aus, und ihre blauen Augen warendunkler als gewöhnlich, wie ein Himmel, der sich an das Vorhandensein eines zweiten Himmels anpasst und sich weigert, an Glanz zurückzustehen, wie das bei Farben so ist; sie liegen miteinander im Kampf und

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