Auf dem Rücken des Tigers
der Aufstand ausbreitete, wie er in einem zähen Kampf Zuckerfeld um Zuckerfeld, Stadt um Stadt eroberte.
Die Barbudos stürmten auf Havanna zu.
Der Kampf um die Zuckerinsel war entschieden.
Stunden oder Tage zu voreilig, fuhr ich den Aufständischen voraus, um über ihren Siegeszug durch die Hauptstadt der Insel zu berichten.
In den ersten Stunden des Neujahrsmorgens war Havanna eine tote Stadt gewesen; dann explodierte die Meldung von der Flucht des Diktators. Seine Feinde und Opfer kehrten aus Verschlagen, Verstecken, Kellern und Löchern in das Leben zurück. Der Haß, der sich jetzt entladen mußte, war viele Jahre lang eingekellert gewesen. Havanna kochte in einem Feuer, in das kein Öl mehr gegossen zu werden brauchte.
Eine aufregende Zeit lag hinter mir, doch jetzt machten mich die Siegesfeiern arbeitslos.
»Wir mögen uns«, sagte Wolfgang, »aber wir haben uns satt.« In seinen dicken Augengläsern reflektierten spöttische Funken: »Gründlich.«
»Es ist wirklich schlimm«, ergänzte Laura, »aber der einzige Weg, aus diesem Dilemma herauszukommen ist, unseren Zustand zu analysieren.« Sie stand auf und schenkte mein Glas voll: »Und das haben wir getan.« Laura setzte sich wieder, lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander, eine Dame mit der Sinnlichkeit einer Hexe: »Du hast uns ja während deines Abenteuers auf Kuba Zeit genug dazu gelassen.«
Das Gespräch fand am offenen Kamin meines Bauernhofs in Starnberg statt, viele Monate nachdem ich die Zuckerinsel mit den besten Wünschen der Barbudos verlassen hatte.
Von Kuba war ich nach New York geflogen, von New York nach Paris, von Paris nach Frankfurt, wo ich zwecklos versucht hatte, mich noch eine Weile vor Laura und Wolfgang zu verstecken.
Aglaia hatte sich weiter perfektioniert, und der Konzern in seiner Stellung auf dem deutschen Markt beinahe jede Dimension gesprengt. Dabei war Eriks Frau – wie er selbst sagte – zu einem ›kulturellen Faktor‹ geworden – und die Ehe gescheitert. Mein Bruder hielt sich gut, aber er konnte mir nicht verbergen, daß er sich verändert hatte.
Bald erfuhr ich die Gründe, und sie belebten meine alte Abneigung gegen Aglaia. Zuerst hatte mich ihre erstaunliche Verwandlung verblüfft und beeindruckt. Aber bald schon begann ich, hinter ihrer damenhaften Schablone den Machtwahn zu wittern, der ja auch Erik durch die Ambulanzräume gehetzt hatte.
Ich hatte über den Erbvertrag bislang mehr gelacht als mich mit ihm beschäftigt, aber ich konnte mir vorstellen, daß die kinderlose Aglaia sich ängstigen müßte, ich könnte eines Tages – woher auch immer – einen Erben präsentieren.
Diese Vorstellung begann mich zu belustigen. Vielleicht wurde ich deshalb zu durchsichtig. Jedenfalls merkte Aglaia, daß mir Erik seine Peinlichkeit anvertraut haben mußte. Von da an gelang es Aglaia nur schwer, ihren Zorn auf mich zu kaschieren.
Ich machte es ihr auch nicht leicht. Ich pflückte mir alle Gelegenheiten, sie zu reizen, und brachte sie in eine Zwangslage: Vor uns allen mußte Aglaia die liebenswürdige Schwägerin spielen und dabei ihre Aggressionen unterdrücken. Sie erwies sich darin als eine Meisterin und entlarvte sich doch mit jedem Wort und jeder Geste als eine Heuchlerin. Heuchler waren mir zuwider, und so hat es mir immer Spaß gemacht, sie aus ihrer Reserve zu locken, um sie zu decouvrieren.
Eine Zeitlang amüsierte mich die gespannte Atmosphäre in Eriks Haus, aber ich mußte auf den Bruder Rücksicht nehmen, zudem wurde dieses Spiel allmählich langweilig. Außerdem gab es einen noch viel wichtigeren Grund. Ich konnte mich vor Wolfgang nicht länger verbergen, und so hatte ich mich dem Starnberger Sanatorium genähert wie ein streunender Hund seinem zornigen Herrn.
Es war unumgänglich geworden, mich den Freunden zu stellen – nun waren sie dabei, bei der Rückkehr des verlorenen Freundes ein Lamm zu schlachten, das Laura hieß.
Sie war jetzt dreißig.
Ich hatte ihr bei ihrer Trauung ins Gesicht geschleudert, daß sie auch in diesem Alter noch einen Mann bekäme.
Sie würde wohl viele bekommen können; die Frage war auch vielmehr, ob sie diese haben wollte.
»Wir werden uns in aller Freundschaft trennen«, führte Wolfgang den gefrosteten Dialog weiter: »Wir haben nur noch auf deine Rückkehr gewartet, um Tabula rasa zu machen.«
»Was hat das mit mir zu tun?« fuhr ich ihn an.
»Viel«, übernahm Laura wieder das Gespräch am offenen Kamin: »Dein Verhalten entscheidet,
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