Auf dem Rücken des Tigers
Verschwörergesicht.
Es sah aus, als kauere er hinter Gittern.
»Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen.« Er drückte seine Gauloise aus. »Nicht ohne Reiz für Sie.« Er sah mich von unten nach oben an: »Auch nicht ohne Gefahr.«
»Weiter«, erwiderte ich ungeduldig.
»Ein Thema, genau auf Ihrer Linie.« Mit einem perfiden Lächeln setzte er hinzu: »Sind Sie noch immer ein heimatloser Weltverbesserer?«
»Noch immer. Und nun zur Sache, plaît-il. Mein Verleger erwartet mich in einer halben Stunde.«
»Was halten Sie von den Barbouzes?«
»Eine von Ihrem Staat geduldete Organisation für Terror, Folter und Mord. Ihre Veteranen aus Algerien.«
»Algerien ist passé«, erwiderte der Mandarin. »Aber die Burschen machen uns noch immer zu schaffen.« Er sah anzüglich auf seine Aktentasche. Ich begriff, daß er seinen Dien-Bien-Phu-Trick – gezielte Indiskretionen mit Hilfe eines ausländischen Journalisten – wiederholen wollte.
»Spottbillig«, beantwortete der Mandarin eine Frage, die ich nicht gestellt hatte. »Sie müssen mir nur bestätigen, daß ich Sie vor der Gefahr gewarnt habe.«
Er schob mir die Unterlagen so behutsam zu, als könnten sie in seiner Hand explodieren: »Ich hoffe, daß Sie sich Ihr gutes Gedächtnis erhalten haben«, setzte er hinzu. »Was Sie aus diesem Raum mitnehmen, müssen Sie im Kopf tragen.«
Ich hatte andere Probleme als diese französischen Zauberlehrlinge des Verbrechens, die ihrem Magier Staat über den Kopf gewachsen waren und unter dem pseudoromantischen Namen ›Rote Hand‹ ihre Spuren mit Blut markierten.
Als ich beim Lesen auf den Namen eines marokkanischen Exilpolitikers gestoßen war, wußte ich, daß ich zu spät zu meinem Verleger kommen würde. Ben Furka war auf Wunsch marokkanischer Interessenten von französischen Verschwörern entführt und vermutlich ermordet worden.
»Eh bien. Wir haben es uns etwas kosten lassen, den Mann zu suchen.« Der Oberst stellte das Zimmerradio etwas lauter. »Seit fünf Wochen ist die Fahndung eingestellt. Wir haben den Marokkaner gefunden.«
»Gratuliere.«
»Erstochen.«
»Und die Mörder?«
»Sind uns bekannt«, antwortete der Mandarin. »Sonst geht es ihnen noch immer ausgezeichnet.«
»Sie können sie nicht verhaften?«
»So einfach ist das nicht. Als wir zugreifen wollten, wurde ein wichtiger Zeuge – er hatte nasse Füße bekommen – von der eigenen Bande umgelegt, fast vor unserer Haustür. Ein zweiter Mittäter ist verschwunden. Ich nehme an, daß er in einem Zementfaß auf dem Grund der Seine ruht.«
Der Colonel schob mit einem Ruck seine Unterlagen über den Rauchtisch.
»Die Seine ist groß, wir können sie nicht ablassen.« Er lächelte schräg.
»Wir haben uns nach Bundesgenossen umgesehen. Dabei sind wir auf eine Artikelserie gestoßen, die Sie vor zwei Jahren gegen diese Leute geschrieben haben.«
Der Mandarin sprach mit der Zigarette im Mund. Ihr Stummel war so kurz, daß er ihm gleich die Lippen ansengen mußte.
»Viel Wille – wenig Wolle.«
Er nickte mir zu: »Sie hatten schon das richtige Ziel damals, nur die falsche Munition.«
Eine halbamtliche, zunächst vom Staat geduldete, wenn nicht geförderte Institution für Aufträge, die selbst für einen sonst nicht gerade zimperlichen Geheimdienst zu schmutzig sind, war schon ein Thema für mich. Eine Legion des Terrors, rekrutiert aus Asozialen, Sträflingen, Deserteuren und Söldnern.
Der Mandarin brauchte keine weiteren Erklärungen zu geben. Das Dossier war ein Katalog der Grausamkeit. Nur wer auf einem Befehlsstand des Untergrund-Dschungels stand, konnte diese Kollektion zusammenstellen.
Ich begriff, daß die Verbrecher mit den unheimlichen Beziehungen dem Mandarin im Wege standen. Im Falle einer Enthüllung, die Beweise lieferte, müßte das amtliche Paris – um das Gesicht nicht zu verlieren – endlich gegen die Barbouzes einschreiten, was Colonel Martell offensichtlich über mich erreichen wollte, ohne einer Indiskretion verdächtigt zu werden: in meiner Branche geht nichts über Beziehungen, sei es zum Kreml, zum Vatikan, zum Pentagon oder zur Sûreté. Überall war ich zu Hause gewesen und deshalb heimatlos, bis ich bei Laura ein Zuhause gefunden hatte.
Ich spürte, daß mir eine heiße Geschichte offeriert wurde. Ich registrierte Einzelheiten, ich erlebte, wie die Geheimbande aus den Gefolterten Geheimnisse herausprügelten, hörte das Röcheln der Mißhandelten, das Krepieren von Plastikbomben, spürte den
Weitere Kostenlose Bücher