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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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klingelnd.
    Sie stürzten herein, Schwestern und Ärzte, diese Funktionäre des unsterblichen Todes, und Christian wußte, daß sie wieder einmal zu spät kommen würden.
    Wolfgang lebte nicht mehr.
    Der Tod hatte sich über Nacht in den Raum geschlichen.
    Dr. Federbein beugte sich über seinen Chefarzt.
    Er nahm die Brille ab und fuhr sich mit den Fingern in die Augen.
    »Scheiße«, sagte er mit brüchiger Stimme.
    Es war das medizinische Amen für Wolfgang.
    »Herr Schindewolff hat soeben das Haus betreten«, meldete der Portier über das Telefon, und Aglaia überprüfte im Sozialbüro den Sitz ihres Lächelns. Sie konnte es vom Schreibtisch aus. In ihrer Nähe waren immer genügend Spiegel angebracht. Sie dienten mehr der Selbstkontrolle als der Eitelkeit: Eine Zeit, die Minirock, Minimoral und Minihirn in Mode gebracht hatte, verlangte zumindest ein Maximum an Äußerlichkeit.
    Aglaia erlaubte ihrem Spiegelbild ein vertrautes Lächeln. Sie würde bei Eriks schlechtem Entree einen blendenden Tag haben. Sie wirkte alert, elegant, eine Frau ohne Alter, raffiniert-schlicht gekleidet. Sie durfte zumindest nicht weniger mit sich zufrieden sein, als die Herren ihrer Umgebung.
    Sie hörte Schritte im Gang. Es war Erik.
    Gleich würde ihm die Sekretärin mitteilen, daß seine Frau im Hause sei; er würde kurz zögern, dann zu ihr kommen, ihr die Wangen küssen und dabei sagen: »Du siehst prächtig aus – essen wir heute abend zusammen in der Stadt?«
    Aglaia rief ein paar Direktoren zu sich. Sie sollten Erik die Peinlichkeit des Alleinseins in der ersten Minute ersparen.
    Gleich danach betrat er ihr Büro, küßte ihr die Hand, verabredete sich mit ihr zum Abendessen. Von da an spulte das Programm ab, von Aglaia aus dem Hintergrund ferngesteuert. Sie hatte die Reihenfolge der Audienzen festgelegt, und ihre Zeitdauer: vier Stunden wäre wohl nicht zuviel als Schleuse zwischen einer vergammelten Mansardenwohnung und dem Kommandostand eines Industrie-Imperiums.
    Der Alltag überrollte Erik und bewies ihm, daß er nicht aus seiner Haut gefahren, sondern wieder in seinen dunklen City-Habitus gestiegen war. Er stellte sich die Gesichter seiner Mitarbeiter vor, wenn sie ihn, an der Seite Juttas, in den Kleidern seines Bruders gesehen hätten. Er lächelte über den Gedanken im Abglanz eines Abschieds.
    Erik mochte Inkonsequenz nicht. Jetzt überließ er sich ihr. Er bedauerte, Jutta nicht in seiner Nähe zu spüren, um im nächsten Moment seinen Abstecher in die Schwabinger Sub-Welt als eine romantische Verirrung abzutun: bestenfalls als die Freizeitbeschäftigung eines Mannes, der nach Stundenplan leben mußte.
    Er verhandelte bereits drei Stunden in seinem Arbeitszimmer. Seine Entscheidungen waren schnell, präzise wie immer, vielleicht noch unbeteiligter als sonst.
    Er würde wohl noch eine Stunde festgehalten sein und gab seinem Sekretariat Anweisung, daß er eine Weile ungestört bleiben wolle. Verdrossen gestand er sich ein, daß die Peinlichkeit schon begonnen hatte: solange er dieses Haus regierte, hatte sein Vorzimmer die telefonischen Verbindungen hergestellt.
    Bisher hatte er kein Privatleben geführt; seine Sekretärinnen kannten deshalb keine persönlichen Reservate. Sie öffneten die Post in seiner Abwesenheit und horchten gelegentlich sogar in die Telefonleitung, um die Wichtigkeit der Anrufe gegeneinander abzuwägen.
    Erik betrachtete einen Moment unschlüssig die drei Telefone auf seinem Schreibtisch.
    Er wählte Juttas Nummer. Er schaffte es erst beim zweiten Versuch mit den ungeschickten Fingern eines Jungen, der erstmals einen Automaten aufbricht.
    Es meldete sich nur das Freizeichen, und Erik war erleichtert, nicht gleich und von diesem Ort aus mit dem Mädchen sprechen zu müssen.
    Dafür mußte er sich am Abend, zwischen Lady Curzon und Rehrücken, dem Dialog mit Aglaia stellen. Er aß weniger mit Genuß als mit Bedacht, mehr als sonst, denn ein voller Mund ersparte ihm Ausreden oder gewährte Zeit zum Nachdenken.
    »Interessiert es dich nicht, wo ich war?« fragte er Aglaia schließlich.
    »Nein«, antwortete sie. »Du solltest dir öfters solche Fahrten ins Blaue leisten.«
    Erik betrachtete sie: Aglaia hatte schönere Hände als Jutta, trotzdem konnten sie seine tote Haut nicht beleben. Er sah, daß Aglaia die Blicke selbst dezenter Gäste auf sich zog; Menschen, die nicht einmal wußten, wie leicht es ihm seine Frau machte, von einem seltsamen Ausflug zu ihr zurückzukehren, bewunderten sie.
    Er

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