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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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schon Besuche?«
    »Inzwischen ist er selbst erkrankt«, sagte Christian und hielt sein Lachen an. »Aber es geht ihm besser.« Er sah zum Fenster hinaus und betrachtete den Bauernhof, der einmal ihm gehört hatte, zum erstenmal wieder bewußt.
    »Wann soll ich kommen«, fragte Jutta, »morgen oder übermorgen?«
    »Wann du willst«, versetzte Christian. »Ich wirke hier als so 'ne Art Sanitätsgefreiter Neumann.«
    »Gut.«
    »Hat Erik dich besucht?«
    »Ja«, antwortete Jutta. »Er ist eben erst zurückgeflogen.«
    Christian hatte den Sinn dieser Worte zunächst überhört, dann erfaßte er ihn. Neugier nagte an ihm, aber er merkte, daß ihm Jutta keine telefonischen Aufschlüsse geben wollte. »Alsdann«, sagte sie, »vielleicht morgen.«
    Der Freund schlief bis zum Nachmittag ruhig durch, und Christian durfte es als Zeichen der Besserung werten. Am frühen Abend wurde der Patient unruhig, kam wieder zu sich, benommen zuerst. Wolfgang lächelte schon, bevor er ganz klar war.
    »Dilaudid?« fragte er. »Hast du das geschafft?«
    »Ja«, antwortete Christian, »da siehst du mal, wie wenig hinter der ärztlichen Kunst steckt.«
    »Vielleicht hast du gar nicht so unrecht«, erwiderte der Freund nach einer Weile.
    »Aber du bist in guten Händen«, versetzte Christian, »und glücklicherweise ist es für einen Arzt immer noch schwerer, einen Gesunden umzubringen, als einen Kranken zu heilen.«
    Sie machten lange Intervalle bei dem Gespräch: trotzdem waren es weit kürzere Pausen, als sie sie im Leben hatten eintreten lassen. Sie waren beide einer Nähe ausgeliefert, die sie bedrängend spürten, und beglückend. Der eine in den Händen des anderen, ausgestreckt auf einem Doppelbett, dem ruhenden und ein wenig lächerlichen Schauplatz eines Ehepaars, das im Schlaf des Alters den Beischlaf der Jugend vergessen hatte.
    »Erstaunlich«, sagt Wolfgang, »daß du das so rasch erfaßt hast – mit der Spritze.«
    »Du sollst nicht so viel reden.«
    »Und jetzt haben sie dich in mein Zimmer gelegt.« Er lächelte erschöpft: »Armer Hund. Das müssen sie dir antun.«
    »Schluß der Debatte!« versetzte Christian.
    »Wir sind jetzt endgültig quitt«, entgegnete Wolfgang.
    »Nie«, erwiderte Christian. »Nun kommt meine Therapie. Ich bleibe so lange an deiner Seite, bis du über den Berg bist, und dann bleibe ich noch lange in deinem Haus, bis du mich aus deinen Klauen entläßt.« Er merkte, daß ihm Wolfgang zuhörte, und sah das befreite Lächeln in seinem eingefallenen Gesicht: »Ich sehe uns beide schon, Hand in Hand«, fuhr Christian fort, »als Hundertjährige auf der Weltausstellung für Gesundheit.« Er freute sich über Wolfgangs Lächeln, selbst der Schlaf hielt es noch eine Weile fest.
    Jetzt, da die Spannung sich gelockert hatte, breitete sich im Schlafzimmer nicht mehr die Stille wie eine Seuche aus. Christian hörte die leichten Atemzüge des Freundes; Wolfgang schlief sich sanft in die Genesung hinein.
    Als Christian um das Leben des Freundes gebangt hatte, war ihm der Frevel bewußt geworden, ein Leben wegzuwerfen, um das sich Wolfgang nicht weniger sorgen würde. Zwecklos versuchte er zu ergründen, warum der Mensch Werte des Lebens erst erkennt, wenn ihm Verluste vorgeführt werden.
    Sie waren keine Patienten der Zeit mehr, sondern Rekonvaleszenten des Lebens. Sie würden es festhalten, jede Stunde Gemeinsamkeit ausschöpfend. Sie würden erstmals wieder unbefangen und befreit über Laura sprechen: sie säße künftig neben ihnen – und nie mehr zwischen ihnen.
    Gewitter können heilsam sein. Der Regen hatte die Luft gereinigt. Sie war klar. Christian atmete sie süchtig ein; er spürte ihre Frische nicht nur in den Lungen, sondern auch in seinem Bewußtsein.
    Dieses Leben – ergab er sich einem ungewöhnlichen Wohlbehagen –, das wir empfangen, ohne es zu wollen, vergiften, ohne zu wissen, wäre ein nobles Geschenk, so man richtig mit ihm umginge.
    Er stützte sich auf, betrachtete Wolfgang; obwohl es dunkel im Raum war, schien er ihn zu sehen: entspannt, einen Genesenden.
    Christian schlief die Nacht durch, tief, traumlos. Als er erwachte, kam das Glücksgefühl, mit dem er eingeschlafen war, zurück. Er spürte, daß sich seine Backenmuskeln zu dem gelösten Lächeln lockerten, das Wolfgangs Gesicht beim Einschlafen festgehalten hatte.
    »He, Alter«, sagte er und streckte die Hand nach dem Arm des Freundes aus.
    Die Hand fuhr zurück.
    Christian schnellte hoch, gleichzeitig schreiend und

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