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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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wußte, daß seine Frau für einen Mann seiner Position das Perfekteste war was er haben konnte: liberal, intelligent, gebildet, eine Frau, kein Schemen. Er verglich sie mit Jutta, die überhaupt keine Partnerin für ihn war, und spürte eine bestimmte Zärtlichkeit für das Mädchen.
    »Hörst du mir zu?« fragte Aglaia.
    »Aber ja …«, antwortete er.
    »Du wirst also öfter ausbrechen«, bestimmte sie. »Leg doch die Krawatte ab, schlüpf in einen Pullover und in eine Cordhose – entschuldige, wenn ich vielleicht albern bin – und lauf barfuß herum. Oder kauf dir ein Schiff und such dir Freunde, mit denen du dich zum Beispiel in diesem Lokal nicht sehen lassen könntest, und spiele Freibeuter.«
    »Du hast wohl deinen großzügigen Tag«, entgegnete Erik überlegend, ob sein Mißtrauen nicht bloße Undankbarkeit wäre. Aber er kannte seine Frau zu gut, um ihr diese ungewöhnlichen Ratschläge abzunehmen. Vielleicht ließ sie ihn genauso beobachten wie Christian und sprach seine Träume ebenso aus wie sein Konzern die vom Computer vorher bestimmten Wünsche der Konsumenten. Aber Aglaias Verhalten machte es ihm leicht. Außerdem wäre er auf der Hut. Ging er im Umgang mit Jutta zu weit, könnte er Aglaia an ihre Angebote erinnern.
    »Vielleicht hast du recht«, entgegnete Erik.
    »Bestimmt«, antwortete sie. »Nur solltest du etwas mehr Vertrauen zu mir haben.«
    »Zum Beispiel?«
    »Ich meine – sowohl persönlich als auch kommerziell.«
    »Beginnen wir mit dem Kommerziellen«, erwiderte er. »Was kann ich für dich tun?«
    »Ich möchte eine Generalvollmacht für den Fall deiner Abwesenheit.«
    »Von mir aus bewilligt«, versetzte Erik, »falls Christians und Sebastians Bevollmächtigte damit einverstanden sind.«
    »Warum sollten sie nicht?« fragte Aglaia. »Wie geht es überhaupt Christian?«
    »Kommen wir zum persönlichen Teil deiner Wünsche …«
    »Du mißverstehst mich nicht …«, begann Aglaia und betrachtete ihn mit einer Zärtlichkeit, an der nichts unecht wirkte.
    »Zumindest so lange nicht«, erwiderte er, »als ich nicht weiß, worum es geht.«
    »Ich bin sechsunddreißig.«
    »Und?«
    »Es ist wohl jetzt Zeit für ein Kind.«
    »Das wissen wir doch schon lange«, antwortete Erik und kämpfte gegen seinen Zorn.
    »Es gäbe eine Möglichkeit«, fuhr Aglaia fort, »bei der wir zum Ziel kämen und ohne uns etwas zu vergeben.«
    »Ich bin müde«, erwiderte Erik. »Ich fahre heute abend noch mit dem Schlafwagen nach Brüssel weiter, also bitte keine Umwege.«
    »Ich denke an – an künstliche Befruchtung.«
    Bei Aglaia mußte man immer mit extremen Vorschlägen rechnen. Aber sie hatte ihn überrascht. Sie gab nicht auf, wollte nicht glauben, daß das Leben einem Erbvertrag Grenzen ziehen könnte. Sie wollte ein Kind aus der Retorte, dessen Vater der Machtwahn wäre.
    »Der Professor garantiert«, versicherte sie, »daß er über die Auswahl der Chromosomen zu einem Baby käme, das deinen Charakter, deine Intelligenz hätte und dir sogar noch äußerlich gliche.«
    »Danke«, antwortete Erik.
    Aglaia beugte sich zu ihm, fuhr mit der Hand über seinen Arm: »Entschuldige, daß ich so offen war«, verschob sie die Entscheidung. »Ich hätte dir das heute nicht mehr zumuten sollen.«
    Sie stand auf.
    »Bringst du mich noch schnell nach draußen?« fragte sie, und Erik folgte ihr, in diesem Fall zum Wagen – und nicht und niemals weiter.
    In das Sanatorium des toten Prügel-Müllers zog das Entsetzten ein. Lautlos, lähmend. Das Pflegepersonal vergaß sein Tagewerk. Die Patienten liefen auf den Gängen herum wie Passagiere beim Schiffsuntergang auf der Suche nach Rettungsbooten. So fungierten sie unfreiwillig als Christians Fluchthelfer.
    Unbemerkt hatte er am Nachmittag die Klinik verlassen. Er hatte sein Ziel. Um den Schmerz zu betäuben, würde er sein faules Hausrezept hervorholen, den Schnaps.
    Er zog von einer Kneipe zur anderen. Man betrachtete ihn verwundert, aber keiner fragte ihn etwas, so lange er bezahlte. Er wechselte die Wirtsstuben, weil er fürchtete, Dr. Federbein könnte ihn verfolgen lassen. Aber Wolfgangs Vertreter hatte in der von Panik bedrohten Klinik andere Sorgen.
    Am späten Abend entschloß sich Christian, nach München zu fahren. Die Witterung war unfreundlich, Nebelschwaden, Schneetreiben. Er stand am Rand der Straße und winkte einem Taxi.
    Der Fahrer hielt und betrachtete den Mann mit dem verstörten Gesicht, der offensichtlich schon angetrunken war.
    »Nach

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