Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
Erik bedeuten könnte. Der Bruder platzte in ihrer Nähe zusehends aus seiner Unnahbarkeit, überfällig wie eine reife Frucht. Erstaunt spürte Christian eine Art Eifersucht.
    Noch immer fühlte er sich wie ein Gefangener in der Müllerklinik; sie hatte enge Krankenzimmer, lange Wartezeiten und einen hervorragenden Ruf. Ihr Personal, die Ärzte und Schwestern, waren robuste Samariter. Christian, der sie aus Langeweile beobachtete, sah in ihnen Patienten ihres Berufs. Es schien ihm, als trügen die Installateure seiner Genesung ausnahmslos hämische Gesichter.
    Am Nachmittag wurde die Stille des Sanatoriums von der Unruhe durchbrochen. Christian kam sich vor wie an Bord eines Dampfers, der Reinschiff macht, weil der Admiral, ein ziviler, wenn auch nicht zivilisierter, zur Besichtigung kommt.
    Er hörte Schritte vor der Tür, die Schritte eines Muskelpakets, das vor ungeduldiger Energie zu bersten schien.
    Der Freund ging weiter.
    Christian fürchtete die Begegnung und war doch ein wenig enttäuscht über Wolfgang, der zuerst Visite bei seinen Patienten machte. Er ist der alte Bauer geblieben, der durch den Stall stapft, bevor er die gute Stube betritt.
    Erik war in Eile. Er war es immer, und wie immer wußte er nicht zu sagen, warum er in Eile war. Als Spitzenangestellter lukrativen Leerlaufs fand er immer einen Vorwand sich selbst zu hetzen. Er machte sich nichts vor. Er hatte genügend Distanz zu sich selbst, um sich nicht minder exakt zu analysieren als seine Umwelt. Es war Erik, als liefe er beständig durch einen der Spiegelgänge – wie sie Aglaia überall installierte.
    Er sah auf die Uhr, stellte mechanisch die Zeit fest und ärgerte sich, daß er schon wieder auf die Uhr gesehen hatte.
    Er nahm sie vom Handgelenk.
    »Hören Sie, Herr Hornbach«, sagte er zu seinem Fahrer, »wie lange sind Sie schon bei Schindewolff?«
    »Achtzehn Jahre.«
    »Und das unfallfrei«, Erik reichte dem Mann seine Uhr. »So etwas gehört belohnt«, sagte er und haderte mit sich, weil er wegen einer unkonventionellen Regung den Mann in Verlegenheit brachte.
    »Aber, Herr Schindewolff …«
    »Kein Wort mehr«, versetzte der Manager. »Wir wollen nicht feierlich werden.« Gleichzeitig spürte Erik eine Erleichterung, als hatte er die Schnüre des Korsetts, in das er sich einzuengen pflegte, gelockert: So einfach ist das Leben, lachte er sich selbst aus, du verschenkst deine Uhr, und schon hast du Zeit.
    Vielleicht sollte er noch viel mehr verschenken, um ein wenig mehr Leben zu gewinnen, um wenigstens daraus zu machen, was ihm trotzdem noch bleiben würde.
    Er war mit Jutta zum Mittagessen verabredet.
    Er hatte lange darüber nachgedacht, welches Lokal er wählen sollte, wiewohl er sich in München gut auskannte und wußte, wie wenig Vorurteile man an der Isar hatte. Ein zu nobles Restaurant würde Jutta verärgern und ihr vorführen, wie unkonventionell sie gekleidet war; in einem schlichten würde man vermutlich schlecht essen.
    Erik wußte nicht einmal, ob sich das Mädchen etwas aus Essen machte. In ihrem Evangelium vom Leben, in das sich die junge Generation beinahe exzessiv hinein steigerte, nahmen die herkömmlichen Freuden des Gaumens, der Sinne, des Geldes kaum einen Rang ein. Diese Generation war hemmungslos, beinahe exhibitionistisch, doch auf eine puritanische Weise, die selbst noch einem sexuellen Krüppel ein Lächeln abverlangen konnte.
    Erik durchstöberte seine Erinnerung noch immer nach geeigneten Restaurants. Dann kam er auf den einfachen Ausweg, dem Mädchen die Wahl zu überlassen.
    Er hatte das Haus, in dessen Mansarde sich Christian zu verstecken pflegte, erreicht.
    Erik klingelte an der Türe.
    Es dauerte so lange, bis Jutta öffnete, daß er fürchtete, sie hätte ihn versetzt. Sie lächelte ihm flüchtig zu, wies ihm mit einer Geste Platz an und ging wieder an das Telefon zurück. Erik überlegte, ob er während des Gesprächs in die Küche ausweichen sollte, aber damit würde er ein wenig zu gewaltsam seinen Takt demonstrieren, Zudem stellte der Manager verwundert fest, daß es sich bei dem Telefonat um eine komplizierte juristische Streitfrage handelte, mit der sie so sicher umging, als beschäftige sie sich ständig mit diesen Dingen.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Jutta, als sie aufgelegt hatte.
    »Interessieren Sie juristische Probleme?« fragte er verwundert. »Sicher«, antwortete sie ihm, »ich studiere Jura.«
    »Sie? Jura?« Er merkte, daß er sich schon wieder nicht unter Kontrolle hatte, doch

Weitere Kostenlose Bücher