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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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er fragte weiter: »Warum?«
    »Weil ich neugierig bin«, versetzte das Mädchen. »Mich interessiert da einiges – warum zum Beispiel ein leerer Formalismus stärker sein kann als der menschliche Anstand.« Jutta sprach rasch, emotionell: »Wie man im Namen der Selbstgerechtigkeit Gerechtigkeit ausüben kann.« Sie nahm sich eine Zigarette, zog hastig und setzte hinzu: »Eigentlich interessiert mich nur, wie man so werden kann wie mein Vater.«
    »Was haben Sie gegen Ihren Vater?« fragte Erik.
    »Darüber wollen wir nicht sprechen«, antwortete sie. »Wie lange haben Sie Zeit?«
    »So lange Sie wollen«, antwortete er und spürte die nicht vorhandene Armbanduhr auf der Haut wie eine Handschelle, die er gesprengt hatte.
    Er suchte ihre Augen und merkte, wie spröde seine Lippen waren. Er betrachtete Juttas Hände und vermeinte, sie auf seinem Rücken zu spüren. Sein Blick glitt über ihre Beine, bis ihn der Halswirbel schmerzte. Beinahe gewaltsam wollte er wegsehen, aber er konnte es nicht.
    »Interessieren Sie meine Beine?« fragte Jutta.
    »Entschuldigung«, murmelte er.
    »Warum entschuldigen Sie sich ständig?« fragte sie. »Alle Männer sehen auf meine Beine.« Sie drückte ihre Zigarette aus. »Dabei sind sie gar nicht so toll.« Sie warf sich mit Schwung die Handtasche um. »Kommen Sie«, sagte sie dann.
    Sie gingen zu Fuß.
    Erik wurde ärgerlich, weil er das Mädchen immer wieder von der Seite anstarren mußte. Ein durchaus übliches Geschöpf ohne jede Besonderheit. Mädchen wie Jutta liefen zu Dutzenden in der Verwaltungsetage des Schindewolff-Konzerns herum. Fast jede wäre für ihn zu haben, falls er mit ihr etwas anzufangen wüßte. Selbst eine Vortäuschung sonst unleugbarer Gegebenheiten wäre für ihn zu erreichen gewesen, für alle Voyeurs, außer Aglaia natürlich.
    Jutta blieb stehen.
    »Worauf haben sie Appetit?« fragte sie.
    »Appetit?« wiederholte Erik und betrachtete das Mädchen: »Eigentlich auf Sie.«
    »Sie machen sich«, lachte Jutta. »Sie können übrigens du zu mir sagen, wenn Sie wollen.«
    »Danke bestens«, entgegnete er hölzern.
    »Sie brauchen es aber nicht, wenn es Ihnen schwerfällt.«
    »Es fällt mir nicht schwer«, antwortete Erik.
    Sie nickte und lächelte.
    Erik merkte, daß er von den Blicken der Passanten nicht mehr aufgespießt wurde. Es tat ihm gut, an ihrer Seite zu gehen. Er war ein stattlicher Mann, sportiv, einer, der bei Frauen leichtes Spiel haben würde, falls er sich verbotene Spiele erlauben könnte.
    Sicher wäre er nicht der einzige, der sein fortschreitendes Alter mit jugendlicher Frische garnierte. Der Gang der Dinge: junge Mädchen verkaufen ihre Jugend in kleinen Portionen; alternde Männer erwerben sie zu hohen Preisen. Geld hatten sie im Übermaß, zudem waren ihre Ansprüche im Bett nicht übermäßig. Am Stammtisch trieben sie es jedenfalls wilder als in Absteigen und auf Dienstreisen, in Büros nach Dienstschluß oder bei verstohlenen Wochenendfahrten.
    Aber ein schlaffer Orgasmus wäre immer noch besser als keiner.
    Sie saßen sich in einer kleinen Studentenkneipe gegenüber. Das Essen war schlecht und billig, doch Erik aß nicht nur vom Tisch, sondern seiner Begleiterin aus der Hand. Es war lächerlich, wie ein Mann von sechsundvierzig nur sein konnte neben einem Mädchen von dreiundzwanzig.
    »Wann fliegst du weiter?« fragte Jutta.
    »Vielleicht überhaupt nicht – heute.«
    »Aber du mußt doch.«
    »Sterben muß ich«, kalauerte Erik, »aber selbst das hat noch Zeit.«
    Der Fall lag in den Händen des Kriminalkommissars Meyers, der das Referat K III leitete. Hinter der keusch-römischen Bezeichnung tarnte sich der unpopuläre Begriff: Politische Polizei. Keiner wollte mit ihr zu tun haben, nicht die Bevölkerung, nicht die Beamten selbst, die man zu einer Karriere in dieser Abteilung fast immer zwingen mußte oder die – wie Meyers selbst – wegen kleinerer Disziplinargeschichten ganz einfach auf diesen Posten abgeschoben worden waren.
    Früher hatte der Kommissar Taschendiebe und andere kleine Wichte ausgepreßt und damit weit weniger Mühe gehabt als zum Beispiel mit diesem Burschen, der von einer Polizeistreife als Verdächtiger aufgegriffen worden war.
    Zunächst hatte der Junge jegliche Beteiligung an dem Nebelkerzenattentat im Schloß abgestritten, aber, ungerufen wie immer, trat Oberregierungsrat Kudritzky vom Verfassungsschutz auf und identifizierte den Verdächtigen.
    Zwar lag in diesem Stadium die Untersuchung allein in

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