Auf dem Rücken des Tigers
hätte. Während er Jutta betrachtete, überfiel ihn die Eifersucht. Sie beschleunigte seinen Puls und sie hämmerte in seinen Schläfen. Er betrachtete ihren hübschen biegsamen Körper, als sähe er die Hände, die ihn erschlossen, besessen, gestreichelt, befriedigt, verlassen hatten. Es waren derbe Hände und sensible, schmutzige und durchschnittliche. Es waren viele Hände – nur seine fehlten, würden immer fehlen, obwohl seine Hände vermutlich so gut wären wie die ihrer anderen Liebhaber.
»Du betrachtest mich, als ob du mit mir schlafen möchtest«, sagte Jutta.
»Ich möchte es. Wenn ich es könnte.«
»Wenn du es könntest – hätten wir es längst getan. Vergiß deinen Konjunktiv und betrachte die Sache als vollstreckt.«
»Die Sache?« fragte er.
»Mehr ist es nicht«, antwortete sie. »Wenigstens in den meisten Fällen.«
Sie waren wieder in Christians Wohnung.
Jutta wühlte in einem Anbauschrank und warf Erik Klamotten zu: Cordhosen, Rollkragenpullover, Clarks.
»Vielleicht kommst du eines Tages aus deiner Haut«, sagte sie. »Jedenfalls steigst du jetzt erst einmal aus deinem Maßanzug.«
Erik folgte willig. Er fühlte sich nicht wohl in Christians Sachen, aber er ging auf das Spiel ein, als maskiere er sich für einen Faschingsball, bei dem sich Jutta mit Sicherheit mit einem anderen amüsieren würde.
»Hast du mit Christian geschlafen?« fragte er.
»Nein«, antwortete Jutta. »Nicht so, wie du das meinst.«
»Warum nicht?«
»Es hat sich nicht ergeben.«
»Wird es sich eines Tages ergeben?«
»Kaum«, antwortete Jutta und fing seine stumme Frage auf: »Ich mag ihn gerne.« Sie betrachtete Erik lächelnd. »In anderen Situationen.«
Vielleicht hatte Erik zu viel getrunken, oder es war der Föhn oder die Verbitterung über seinen Zustand. Oder vielleicht nur eine Rolle, die man automatisch zu spielen beginnt, sobald man den grauen Flanell mit Cordhosen und Rollkragenpullover vertauschte.
»Aber du hast in diesem Bett mit ihm gelegen?« fragte er sarkastisch.
»Ich würde auch mit dir darin liegen«, erwiderte Jutta, »falls du Wert darauf legst.«
Er merkte, daß sie nicht frivol, sondern ehrlich war, und in diesem Moment wußte er, daß er sich in Jutta ver liebt hatte und daß ihn diese untauglichen Regungen durch die Hölle treiben müßten. Er sah zu Jutta.
Sein Blick glitt weiter zu Christians Bett, und er wußte nicht, wie er mit Jutta je dieses breite Lager teilen konnte. Aber er sagte sich auch, daß er es nie mehr verlassen würde, falls es ihm je gelänge, es zu erobern.
Erik lachte und trank.
Zufrieden mit sich, zog er Jutta an sich, küßte sie. Sie lachte ihn an, zögerte und küßte ihn zurück. Er war wie ein gefangener Raubvogel, der vergessen hatte, daß seine Schwingen vom Leben gestutzt worden waren.
Ein hartes Anklopfen, ein ruckartiges Öffnen der Tür, dann walzte der Chefarzt, von seinen Patienten in liebevoller Scheu hinter seinem Rücken Prügel-Müller genannt, durch den Rahmen und betrachtete seinen rarsten Patienten grimmig.
»Da bist du ja«, kam Wolfgang ohne weitere Umstände zur Sache. »Ich fürchtete schon, daß wir uns erst bei deiner Beerdigung wiedersehen würden.«
Sie musterten einander wie Kampfhähne.
Wiederum stellte Christian fest, daß sich der Freund nicht verändert hatte. Er war untersetzt, extrem kurzsichtig, scheinbar grobschlächtig. Er stellte keine Diagnosen, er fällte Urteile; er verordnete keine Therapie, er gab Befehle. Sich von ihm behandeln zu lassen, hieß, sich einer Tortur zu unterwerfen, aber die Gefolterten schworen auf ihn und kamen immer wieder.
Er war Arzt und sonst nichts auf der Welt. Er verkör perte Glanz und Elend seines Berufs. Und er bügelte die Gesundheit seiner Patienten auf wie zerknitterte Anzüge, freilich mit einem altmodischen Dampf eisen.
Professor Wettersbach hatte die Krankheitsunterlagen mitgeliefert, aber Dr. Wolfgang Müller kannte die Pathographie seines Freundes ohnedies. Seine Gebrechen waren nicht so sehr nach Blutdruck, Blutsenkung, Lebertest und Elektrokardiogramm zu messen. Wiewohl der Prügel-Müller mehr praktischer Arzt als Psychiater war, wußte er, daß sein Freund und Patient Christian ein traumatischer Trinker sein mußte.
Sie saßen einander gegenüber. Und während der Arzt die Werte verglich, rechnete Christian aus, daß er Wolfgang nunmehr bereits 27 Jahre kannte. Diese Bekanntschaft hatte damit begonnen, daß ihm der Arzt das Leben gerettet hatte, das der
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