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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Buchrücken entlang, um sich seine Lektüre schließlich wahllos zu greifen. Kriminalromane schläferten ihn ein, Schöngeistiges hielt er für Kitsch, und revolutionäre Titel fehlten in diesem Hause.
    Es gab nichts, was er über Triebstruktur und Gesellschaft nicht gelesen hätte, es fehlte ihm lediglich die Praxis. Längst fürchtete er, daß es ihm seine Kommilitonengenossen am Gesicht ansehen müßten, denn sein einziger sexueller Aderlaß, die Befriedigung an, für und durch sich, konnte nicht dazu geschaffen sein, ihm männliches Flair zu verleihen.
    Sebastian ging vom Bibliothekszimmer in die Bar, er mißachtete den Alkohol, und das war auch mehr eine Lesefrucht als ein Erfahrungswert: Trinken, das schien ihm die Gewohnheit des Spießers zu sein, seine Komplexe zu ertränken, um sich am Morgen wieder, wenn auch mit Kopfschmerzen, in den täglichen Gehorsam zu versetzen, den die Vorgesetzten einem Untertanen abfordern würden.
    Er versuchte zu lesen, aber die Buchstaben tänzelten vor seinen Augen, und wenn er ihren Sinn erlassen wollte, sah er Aglaia im engbegrenzten Lichtschein ihrer Nachttischlampe, allein in einem Bett, das für zwei geschaffen war. Eine hübsche, raffinierte Frau, die alle Männer in Unruhe versetzte außer dem eigenen; die öffentlich den Wohlstand spielte, den die Gesellschaft ebenso von ihr erwartete wie heimliche Fehltritte im Louis-quinze-Stil:
    Schließlich waren Jahrhunderte sexueller Unterdrückung zur Historie geworden. Die Keuschheit war nur für die Armen, für die Dummen, für die Ausgebeuteten, deren Zukunft der Himmel war, ein Himmel voller geschlechtloser Engel, die Manna, essen und die Harfe zupfen würden, während die Notabein von jeher gewohnt waren, in diesem Tal der Tränen die Wonnen der Sünden auszukosten. Der Gemeinschaft der Gläubigen – sofern sie nicht fürstlich oder klerikal waren – drohte für den Pfuhl der Sünde der Pfahl der Schande.
    Inzwischen war das jus primae noctis nicht mehr den allerchristlichsten Kirsten allein vorbehalten. Der Geschlechtstrieb hatte sich ein wenig demokratisiert, wenn auch die hehre Reinheitsforderung geblieben war wie der päpstliche Hurenzins des Mittelalters. Schließlich nimmt die Kirche auch heute noch ihren Obulus von der gewerbsmäßigen Unzucht, Prostitution in Kirchenportale verwandelnd.
    Und so sah Sebastian sie vor sich: Kaviar im Bauch, Gott im Mund und die Schweißtropfen ihrer Mitmenschen auf dem Bankkonto. Mammon macht Macht. Und so erhoben die Nutznießer des Establishments die Ordnung, die sie schützte, zum Fetisch, und dieser Popanz nährte ihre Potenz, ciie wirtschaftliche, denn für die andere hatte, zumindest in gesetzteren Jahren, der Hausarzt zu sorgen.
    Sebastian schleuderte die Decke beiseite; mit einem Sprung stand er auf den Beinen. Er kümmerte sich nicht mehr um das Geräusch seiner Schritte, und er hielt auch den Atem nicht an, als er sich Aglaias Schlafzimmer näherte.
    Er spürte heftige Stiche in den Schläfen; eine Art Gegenwind ließ seine Augen tränen, aber er schlug um, wurde zum Sturmwind, der ihn vorwärts schleuderte. Sein Unterleib wucherte der Begegnung entgegen. Er schwoll und zwang, er erhob sich über den Jungen, über seine Kontrolle, siegte über seine Hemmungen, peitschte ihn weiter.
    Was immer Sebastian geleugnet oder verleumdet, ersehnt oder erträumt hatte, stand auf und zeugte wider ihn.
    Er spürte, wie sein Körper feil und sein Bewußtsein geil wurde. Auf seiner Haut brannten Fieberbläschen. Er hetzte sich weiter und wurde gehetzt. In seinen Ohren rauschte ein Strom. Er mußte immer wieder schlucken, denn dieses Begehren trieb selbst noch seine Speicheldrüsen.
    Er stürmte über den Gang, lief durch ein Spiegelkabinett voller Busen, die prall waren oder spitz, oval oder herzförmig. Im Vorbeigehen klatschte er auf weibliche Oberschenkel, die sich ihm gleich öffnen würden, breit und widerstandslos, wie die Tore eines Gefängnisses, die ihn freigäben für eine wilde Freiheit oder eine freiheitliche Wildnis, in deren Revieren sie alle standen und auf ihn warteten: Eine Frau. Oder zehn. Oder hundert. Oder alle Frauen dieser Erde.
    Und Sebastian würde sie nehmen und mit seiner brutalen, mit seiner erobernden Speerspitze der Verachtung in sie hinabtauchen. Er würde sich nichts vergeben, sondern sich befreien, nichts geben, sondern etwas verlangen.
    Es sollte funktionell sein, ein banaler Vorgang, letztlich eine Forderung des Verstandes, wenn auch durchsetzt von

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