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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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vegetativen Komponenten. Man nimmt Creme gegen den Sonnenbrand und eine Frau wider virile Komplexe. Nur ein Narr liefe mit einer Hornhaut herum, weil er mit seiner Vorhaut nichts anzufangen wüßte.
    Diesmal würde er nicht umkehren.
    Die Nacht war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Ein paarmal sah Erik noch mechanisch auf sein leeres Armgelenk, um jeweils zu begreifen, daß er, seine Uhr verschenkend, die Zeit abgeschafft hatte. Er genoß es, in Frankfurt überfällig zu sein, überfällig nicht nur für seine Frau, sondern auch für den Konzern.
    »Ich weiß überhaupt nichts über dich«, sagte er. »Warum erzählst du nie etwas von dir?«
    »Ich bin noch zu jung, um interessant zu sein«, wich Jutta aus.
    Ein Platzregen hatte die Straßen gewaschen und die verbrauchte Luft gefiltert. Die Stadt schien Erik kiar und sauber zu sein wie die Augen seiner Begleiterin. Vielleicht sah er sie auch nur so, weil er sie nicht anders sehen wollte. Begleiter eines Abends, der womöglich keine Fortsetzung haben würde.
    Sie gingen zu Fuß.
    Jutta hängte sich bei ihm ein, wie ziellos stapften sie über den Asphalt, für Erik eine Blumenwiese, für das Mädchen wohl nur ein Stück Straße zur nächsten Kneipe.
    Er hatte Jutta gebeten, ihn durch das nächtliche München zu führen, nicht weil er nach billigen Attraktionen der Touristen verlangte, sondern hoffte, auf diesem Umweg der Welt, in der Jutta lebte – oder zu leben schien – ein wenig näherzukommen: Es würde eine fremde Welt sein, in der er von vornherein als Außenseiter auffallen müßte, selbst wenn er versuchte, über den Schatten zu springen, den ein Mann seiner Größe wirft.
    »Wohin gehen wir eigentlich?« fragte er.
    »Du bist der Gast«, erwiderte Jutta.
    »Und du hier zu Hause, deshalb«, er blieb stehen, verbeugte sich ironisch,»möchte ich mich deiner Führung anvertrauen.«
    »Gegessen haben wir«, antwortete Jutta, »zu trinken bekommen wir überall, im Beatschuppen wirst du ersticken, Revoluzzerkneipen stoßen dich ab, Striptease langweilt mich, demonstriert wird heute nicht, LSD-Höllen kenn' ich keine, und für die feineren Etablissements bin ich wohl nicht in der passenden Kleidung.«
    »Gehen wir in die unfeineren«, erwiderte Erik burschikos.
    Sie landeten in einem mächtigen Betonklotz, der überfüllt war, laut und rauchig. Im Parterre tanzten ekstatische Paare. In der Galerie des ersten Stocks amüsierten sich die eleganteren Leute und warfen Papierbecher mit lauwarmen Getränken auf die Köpfe der Verzückten, ohne daß diese die Abkühlung goutiert oder überhaupt bemerkt hätten.
    Die Verstärker übertrugen Töne einer nicht vorhandenen Melodie. Ein paar echte Farbige wirkten im Gedränge wie eine Imitation ihrer Nachahmer. Die Mädchen waren jung, ihre Röcke kurz, ihre Haare lang.
    In Käfigen demonstrierten Go-go-Girls gekonnte Verrenkungen, aber auch die Pärchen schienen solo zu tanzen, hielten sich mit ausgestreckten Armen weit voneinander. Erik schien es, als scheuten sie die körperliche Berührung. Er war sicher nicht der richtige Fachmann dafür, weder für Rhythmus, noch für Berührung, doch erinnerte er sich sehr wohl noch der Zeiten, da er bei seinen Partnerinnen getestet hatte, wieweit die Partnerschaft gehen könnte.
    »Gefällt dir das?« fragte er Jutta.
    »Mitunter«, antwortete sie. »Nicht oft und keineswegs übertrieben lang.«
    Die frische Luft tat ihnen gut. Sie atmeten süchtig.
    Vor dem Haus hielt die Straßenbahn, und ein Rudel junger Mädchen strömte auf den Eingang zu.
    »Kommen die alle alleine?«
    »Die meisten gehen auch alleine.«
    »Dann spielen sie nur Verworfenheit?« fragte Erik.
    »Was ist Verworfenheit?« erwiderte das Mädchen.
    Erik lachte.
    »Ich langweile dich sicher«, sagte er, »mit meiner dummen Fragerei. Aber was wollen diese jungen Leute eigentlich voneinander?«
    »Was hast du gewollt, als du jung warst?«
    »Zärtlichkeit«, antwortete Erik, »Romantik. Sünde.«
    »Was ist Sünde?« versetzte Jutta. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Sei nicht böse«, setzte sie rasch hinzu, »aber ich kann mit diesen geronnenen Schlagworten nicht viel anfangen.«
    »Ich bin nicht böse«, sagte er, »ich bin nur neugierig. Ihr seid jung und wirkt alt; ihr habt das Leben vor euch und benehmt euch, als hättet ihr es längst hinter euch gebracht.«
    »Erst einmal stört mich der Plural«, entgegnete Jutta.
    »Richtig«, erwiderte er. »Nehmen wir dich als Singular. Oder besser als Duett. Sagen

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