Auf dem Rücken des Tigers
seinem abendlichen Fernsehen, seiner nächtlichen Gewöhnung, seinem morgendlichen Verdruß.
Jutta schien ihm spitz zu sein, weil sie nicht stumpf werden wollte, weil sie ihren Verstand weder von Schlagworten noch von der Fettleber verstopfen lassen möchte, eine Art Homo sapiens voller Unwissenheit auf das Leben.
Sie besuchten noch einige Bars.
Kurz nach Mitternacht landeten sie in einer vulgären Kneipe, aus deren Qualm Bärte auftauchten, zottelige Haare, junge Leute einer sorgfältig gezüchteten, späten Promiskuität.
Meistens mußte man sie lange betrachten, um die Mädchen von den Männern zu unterscheiden und nicht selten irrte man dabei.
Ziegenbärte gaben den Ton an.
Man saß eng aneinandergeschart an rohen Holztischen; trank Bier aus der Flasche, das sofort bezahlt werden mußte, obwohl die Revoluzzer mit der keimfreien Unsauberkeit im Habitus das Evangelium von der ehrlichen, repressionslosen Gesellschaft predigten, die sie erreichen wollten.
Sie gaben sich rot und rüde, und sie schienen Erik als Revoluzzer ebenso falsch zu sein wie die Lesbierinnen, die er gerade im »Zwielicht« erlebt hatte.
Am meisten sprachen für sie noch die Reaktionen der Bürger, die ihnen mit Zurufen wie »Vergasen«, »Totschlagen« und »Ausradieren« begegneten.
Jutta war hier wohlbekannt und wohlgelitten.
Erstmals erlebte Erik sie ein wenig unsicher. Er bestellte ein Bier, trank es tapfer aus der Flasche. Er wartete darauf, daß man Jutta nach ihm fragen würde, aber dann begriff er, daß in diesem Lokal zumindest die Toleranz herrschte, daß jeder ungefragt mitbringen konnte, wen er wollte.
Ein schlaksiger Bursche wurde von den anderen als Held des Abends behandelt. Er wies stolz auf die eben gekaufte morgige Ausgabe einer Tageszeitung, in der ein Vorbericht über den wegen Landfriedensbruch angeklagten Studenten Gerd Wagenseil stand.
»Kommst du auch zu meiner Verhandlung?« fragte Jutta. »Ich habe es vor«, antwortete sie.
Christians Dachwohnung lag gleich um die Ecke. Sie gingen langsam.
»Wann fliegst du morgen zurück?« fragte Jutta.
»Vielleicht fliege ich morgen überhaupt nicht zurück.«
»Unter diesen Umständen könnte ich dir eine bessere Attraktion als den heutigen Abend bieten«, versprach das Mädchen.
Sie standen vor der 'Für.
Jutta hatten den Schlüssel in der Hand, während Erik überlegte, in welches Hotel er ziehen sollte.
»Komm mit«, sagte sie.
»Warum?«
»Vielleicht will ich noch nicht allein sein«, entgegnete das Mädchen und ging voraus.
Erik folgte ihr mit klammen Beinen, stieg die knarrende Treppe hoch zum schäbigen Schlupfwinkel seines Bruders.
Einen Moment lang standen sie sich verlegen im Raum gegenüber.
»Ich gehe duschen«, sagte Jutta. »Zieh dich schon aus.«
Er sah ihr nach, verwundert, verwirrt. Er suchte das Telefon mit den Augen, stand unschlüssig davor und entkleidete sich schließlich so schnell, als gelte es, einen Wettlauf zu gewinnen.
Er stieg in seines Bruders Bett, vorsichtig und langsam, als wäre an seiner Situation noch etwas zu verderben. Erik stellte sich schlafend, als Jutta zurückkam. Aber er spürte ihr Lächeln durch seine geschlossenen Lider.
Sie schaltete das Radio ein, löschte das Licht. Dann spürte er sie an seiner Seite.
Er wollte ausweichen und konnte es nicht.
»Leg den Arm um mich«, sagte sie, »ganz fest.«
Erik tat es, und es war ohne jede Peinlichkeit.
»Und jetzt schlaf gut«, setzte sie hinzu.
Erik konnte nicht einschlafen, wiewohl er aus diesen Armen nie wieder erwachen wollte.
Aglaia hatte Sebastians Unruhe, die in der stillen Villa rumorte, richtig gedeutet. Es waren Anläufe in ihr Schlafzimmer. In Erwartung pueriler Unbeholfenheit räkelte sie sich wohlig und legte ihr Buch beiseite, einen zotigen Roman, der, von den Kritikern als Literatur gefeiert, auch in feinen Kreisen gelesen werden durfte.
Schallwellen hatten sich in Schwingungen übersetzt.
Aglaia wußte nicht, ob der Junge heute noch den Einbruch in ihr Schlafgemach wagen würde, aber käme er nicht heute, so sicher morgen. Diese Karenzzeit genoß sie als Vorspiel, zumal sie bei der Unerfahrenheit ihres Neffen wohl kaum mit feineren Präliminarien rechnen konnte.
Es war müßig, darüber nachzudenken, wie lange ihre letzte körperliche Paarung zurücklag: sie war erotisches Brachland geworden, einmal durch die Mißgunst der Umstände und sodann, weil ihr Abenteuer mit Partnern ihres Kreises nicht viel gaben.
Die Zahl ihrer Ehebrüche war
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