Auf dem Rücken des Tigers
wir in Begleitung eines jungen Mannes, den du magst, mit dem du dich eben ausgetobt hast.«
»Und?«
»Würdest du danach allein mit der Straßenbahn nach Hause fahren?«
»Warum nicht?« erwiderte sie.
»Nehmen wir an, er hat einen Wagen, eine Wohnung, ein bißchen Geld, und …«
»Warum so umständlich?« fragte Jutta ein wenig gereizt. »Natürlich würde ich mit ihm schlafen, wenn er mir gefiele.«
»Und am nächsten Tag triffst du einen anderen, der dir noch besser gefällt …«
»Stopp«, sagte Jutta. »Wenn er mir gefällt, muß das begründet sein. Wenn es begründet ist, dann hält es länger als eine Nacht. Dann hält es bei mir so lange, wie es bei ihm hält. Ich drück' mich nicht sehr klug aus«, setzte sie hinzu, »aber war das bei euch damals eigentlich anders?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Erik. »Vielleicht hat uns damals nur die Pille gefehlt.«
»Oder die Ehrlichkeit«, versetzte Jutta, »und vielleicht nutzt ihr heute das eine und habt das andere noch nicht gefunden.«
»Erst einmal stört mich der Plural«, konterte er.
Sie lachten beide, Musterschüler ihrer gegenseitigen Lektion.
Die nächste Station hieß »Zwielicht« und war bilichtig. Ein paar strenge, virile Typen, umgeben von getarnten Lesbierinnen, die Gleichgeschlechtlichkeit vortäuschten, um die Preise der Gegengeschlechtlichkeit zu erhöhen, betapst von reichen Onkeln aus der Provinz und eleganten Besuchern.
Mädchen tanzten miteinander mit Bewegung, die viel zu zotig waren, um echt zu wirken. Ein paar Introvertierte kauerten mit riesigen Hüten in den Nischen und verfolgten mit starren Augen, wie ihnen die Brieftaschen ihre falschen Sapphos entführten, nicht selten einer gleich zwei, als wollten sie das Dreierlei des eindeutigen Lokals abrunden.
Was schlüpfrig wirken sollte, schien Erik kläglich.
Unvermittelt sehnte er sich nach dem rauchigen, stickigen Beatschuppen zurück.
»Na, Süße«, sagte eine auf kesse Manier Maskierte und versuchte, den Arm um Juttas Schultern zu legen. Sie fuhr sofort, wie geschlagen, zurück: »Schau dir mal an, wie die tut«, sagte sie zu einer anderen. »Wenn die erst mal die Männer satt hat, merkt sie schon, wie ihr eine Frau bekommt.«
»Bloß weil der Kerl, den sie dabei hat, nach Geld stinkt«, sagte eine dritte und streckte Erik die Zunge heraus.
Ein paar ältere Herren betraten das Lokal. Die Mädchen stürzten sich auf sie, saßen paarweise an der Bar und tranken mit affektierter Pose aus Strohhalmen Sekt.
»Papas Puff«, sagte Jutta lächelnd, »Papas Puppen und Papas Erotik.«
Sie lachte ihn an und stieg vom Hocker. Erik folgte ihr, wiewohl er gerne geblieben wäre, um Juttas Kontrast zu den anderen zu goutieren.
»Frierst du nicht?« fragte er.
»Ich friere nie.«
»Warum hast du keinen Mantel mitgenommen?«
»Weil ich keinen besitze.«
»Wovon lebst du?« fragte Erik.
»Ich schlag' mich so durch«, erwiderte sie.
»Was heißt so?«
»Bis vor kurzem habe ich von meinem Vater gelebt«, erklärte Jutta, »dann merkte ich, daß ich ihn nicht mochte, und seitdem lehne ich es ab, von ihm Geld zu nehmen.«
Vielleicht hatte Erik zu viel getrunken, oder er war es leid, sich beschämen zu lassen.
»Und seitdem lebst du von Luft und Liebe?« fragte er grob.
»Nicht von der Luft«, antwortete sie, »und schon gar nicht von der Liebe.«
»Auch nicht von Christian?« entgegnete er zornig.
»Auch nicht von Christian«, erwiderte sie gelassen, »auch nicht von dir. Nicht einmal einen Mantel würde ich mir schenken lassen, nicht einmal einen aus dem Warenhaus.«
»Ich will mich nicht streiten, aber …«, sagte er.
»Zuerst habe ich ein paarmal Blut gespendet«, erklärte Jutta, »dann habe ich Zeitungen ausgetragen, Nachhilfestunden gegeben, Kinder gehütet und Teppiche geklopft.« Ihr Ärger war verflogen. Sie betrachtete Erik belustigt. »Weitere Auskünfte gefällig?«
»Danke«, erwiderte er.
Eigentlich hatte Erik genug von den Stationen der Nacht, aber wenn er das Hotel aufsuchte, würde er die Gesellschaft des Mädchens verlieren. Wieder wunderte er sich, daß Jutta noch bei ihm blieb, als möchte sie sich von ihm nicht – noch nicht – trennen.
Aber Erik wußte von ihr, daß sie neugierig auf das Leben war. Er mochte ihre forschende Art, Menschen und Dinge zu betrachten. Auf dem Urgrund ihrer Vorliebe für das Außenseitige witterte er die verzweifelte Romantik, nicht dem Alltag zu verfallen mit seinem banalen Trott, seinem täglichen Brot,
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