Auf dem Rücken des Tigers
stolz, »und das war erst der Anfang.«
»Kindskopf«, entgegnete sie.
»Ich werde noch ganz andere Sachen inszenieren«, drohte er.
»Vor allem wirst du jetzt schlafen gehen«, schloß sie das Gespräch. »Morgen reden wir weiter.«
Aglaia spürte, daß der Junge enttäuscht war, weil sie wenig Wirkung über einen Tiefschlag erkennen ließ: Immerhin gab ihr die veränderte Situation zu denken, und so hatte Sebastian nach einem verunglückten Angriff einen gelungenen Rückzug.
Das Licht zwängte sich durch das schräge Fenster der Mansardenwohnung: es fiel auf Eriks Gesicht. Beim Erwachen sah er sich verwundert um, begreifend, wo er war, sofort bereit, sich dem Tag zu stellen, der sich sonnig gab und föhnig.
Jutta, vor ihm aufgestanden, kam bereits vom Einkauf zurück, mit frischen Brötchen, lächelnd: »Willst du Kaffee oder Tee?« fragte sie ihn.
»Dich«, erwiderte er. »Dich will ich.«
»Gut«, entgegnete sie, »also mich – aber mit oder ohne Kaffee?«
Jutta hatte ihn noch nie so heiter und schwerelos erlebt, und deshalb hatte er ihr noch nie so gut gefallen wie an diesem Morgen. Als sie daranging, in der kleinen Küche das Frühstück herzurichten, verschaffte sie Erik Gelegenheit, sich nackt in das Bad zu stehlen.
Während er duschte, verbreitete der Kaffeeduft die Stimmung behaglicher Erwartung in der kleinen Wohnung. Erik kam zurück, ging in die Küche, drehte Jutta zu sich und küßte sie auf die Schläfe.
»Duftet ja herrlich«, sagte er. »Und welche Anzugsvorschrift legst du mir heute auf?«
»Paragraph eins«, erwiderte Jutta, »jeder tut und läßt, kleidet sich oder kleidet sich nicht, wie er will. Bestimmung Nummer zwei: Erlaubt ist, was gefällt.«
»Und was gefällt?« fragte er.
»Nimm einen Rollkragenpullover zu deinem Anzug – so sehe ich dich am liebsten.«
Er streichelte ihren Hals, ihre Schultern. Fast verwundert merkte er, daß seine Fingerspitzen nicht talgig wirkten. Er wühlte in Juttas Haaren, die zärtlich das schmale Gesicht umflossen und dann lang und blond herabfielen, tief auf die Schulter. Sie nahm die Spitzen und streichelte damit Eriks Gesicht. Er spürte es wie kleine Funken. Seine Haut war nicht mehr taub und sein Gefühl nicht mehr tot.
»Mir gefallen deine Haare«, sagte er. »Kompliment an den Friseur.«
»Meinst du?« fragte sie lachend. »Ich mach' doch alles selbst.« Jutta genoß seine verblüffte Miene: »Und wenn wir uns erst besser kennen«, setzte sie hinzu, »dann werde ich mir auch noch deine Frisur vornehmen.«
Sie ging aus der Küche. Er folgte ihr mechanisch, Samson war seiner Manneskraft verlustig gegangen, als ihm Delilah in der Nacht die Haare abgeschnitten hatte. Erik schien es, er könne ein wenig Terrain zurückgewinnen, wenn er sich in die Hand Juttas begäbe. Ein Tag wie dieser installierte Hoffnung. Ohnedies feierte Erik eine banale Gegenwart als Sternstunde.
Jetzt erst bemerkte er, daß der Tisch sorgfältig gedeckt war: bunte Strohblumen steckten in einer geklebten Vase. Aus dem Radio sprudelte Musik. Die Sonne fiel auf Buchrücken, einige Titel flammten wie in Leuchtschrift. Er wunderte sich über die Lektüre seines Bruders und gestand sich ein, wie sehr ihm Christian an Bildung und Interesse überlegen war. Die Atmosphäre des Morgens genießend begriff Erik nicht mehr, wie er Christians Wohnung als schäbige Absteige hatte bewerten können.
»Eigentlich habe ich ein schlechtes Gewissen«, sagte er. »Wegen Christian.«
»Warum?« fragte Jutta.
»Als Einschleichdieb.«
»Christian hält es nicht so genau mit dem Eigentum«, antwortete sie.
»Wenn er nun erführe …«
»Wir können es ihm doch sagen«, unterbrach ihn das Mädchen.
»Und dann?«
»Er wäre im ersten Moment ein wenig verwundert, würde dann etwas Unflätiges sagen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sich darüber freut.«
»Bist du sicher?« fragte Erik.
»Oh, ja«, antwortete sie, »ich glaube, ich kenne deinen Bruder besser als du.« Sie lächelte, ihre Miene wirkte wund und frech zugleich: »Er ist ein harter Träumer«, sagte sie, »oder, wenn du so willst: ein zynischer Romantiker.«
Erik betrachtete Jutta verwundert; ihre Klugheit imponierte und irritierte ihn.
»Das Leben hat Christian verwundet«, setzte sie hinzu, »deshalb steigert er sich in den Wahn, anderen Wunden ersparen zu wollen – und spielt dabei den dreckigen Heiligen unserer Tage.«
Sie hätten ihn gerne in Starnberg besucht, aber der Prügel-Müller,
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