Auf dem Rücken des Tigers
Christians Arzt und Freund, hatte sie gebeten, es zu unterlassen, um die Gewöhnung an die gestrenge Hausordnung nicht zu unterbrechen.
Jutta goß Erik Kaffee ein und setzte sich neben ihn: »Soll ich dir ein Brötchen streichen?« fragte sie.
»Selbst ist der Mann.« Er erlaubte sich selten einen Gemeinplatz, aber er überhörte es, großzügig sich selbst gegenüber, vielleicht, weil seine Hände die Fähigkeit wiedererlangt hatten, eine Frau zu streicheln.
»Warum siehst du mich so an?« fragte Erik.
»Ich freue mich, daß du da bist«, sagte Jutta.
»Wirfst du mich noch nicht hinaus?« fragte er.
»Noch nicht«, antwortete das Mädchen.
»Würdest du es mir sagen, wenn ich dir lästig werde?«
»Paragraph drei«, antwortete das Mädchen, »jeder sagt unverhohlen, was er denkt.«
»Weißt du, was du da sagst?« fragte er.
»Vielleicht nicht«, erwiderte Jutta, »aber ich weiß, was ich denke.«
Die Musik brach ab. Werbedurchsagen folgten: Käse, Seife, Schnulzen und Kosmetika lösten einander ab. Mit gehobener Stimme schändete der Sprecher das Sprachgefühl. Er überzeugte nicht, er wiederholte, tönend und monoton. Wenn man auch weghörte, wühlten sich doch die Worte in die Gehörgänge, nisteten sich als heimliche Verführer in das Unterbewußtsein, unwillkommenen Gästen gleich, die man ein dutzendmal hinauswirft und sie dann aus Bequemlichkeit erträgt, ohne ihre Gegenwart noch wahrzunehmen.
»Was hast du?« fragte Jutta.
»Schlimm« sagte Erik und deutete auf den Kasten. »Die letzten beiden Durchsagen kommen aus der Werbeabteilung meines Konzerns.«
»Fällt dir das erst jetzt auf?«
»Ich höre diesen Nonsens zum erstenmal. Er ist auch nicht allein auf den geistigen Mistbeeten ihrer kreativen Schöpfer gewachsen.«
»Sondern?«
»Der Computer errechnet, was auf die Massen wirkt, um dann den Massen einzureden, was der Computer errechnet hat.« Erik drehte am Radio, stellte ein wenig leiser, als Soul-Rhythmen unüberhörbar und unaufhaltsam den Raum überfielen.
»Ich dachte, der Mensch programmiert den Computer«, erwiderte Jutta, und Erik erschien ihr Tonfall zu naiv, um nicht impertinent zu sein: »Nun überzeugst du mich, daß der Computer den Menschen programmiert.«
»Beides.« Er lachte. »Kauf die Artikel meiner Konkurrenz. Sie sieden dieselbe trübe Brühe.« Er streckte Jutta den Aschenbecher hin. »Schluß jetzt mit Marketing.«
Und dann kam eine andere Stimme aus dem Radio und eroberte mit ihrer Trauer und ihrem Glanz den Raum, brüchig und strahlend: »When a man loves a woman.«
Als Percy Sledge die erste Sequenz gesungen hatte, mit einer Intensität, die aus den Urgründen von Verlangen und Verzicht kam, mit einem Rhythmus, der die Begierde peitschte, erfaßten sie beide, daß es ihr Lied war. Heute und damals schon, bei ihrer ersten seltsamen Begegnung; sie lag erst Wochen zurück, die sich zur Steinzeit addiert hatten.
»Bleibst du heute noch in München?«
»Vielleicht auch noch morgen«, antwortete er.
»Mußt du nicht nach Frankfurt zurück?«
»Ich muß es«, entgegnete Erik, »aber ich tue es nicht.«
Erik stellte sich die Unruhe im Hauptquartier des Konzerns vor. Für heute war eine wichtige Verhandlung mit einem Bankkonsortium angesetzt. Unmittelbar danach sollte über den Erwerb einer chemischen Fabrik entschieden werden, nach der die amerikanische Herausforderung griff.
Er sah Aglaia vor sich, seine Frau: voller Würde in ihrem Balenciaga-Kostüm und voller Unruhe unter ihrer Alexandre-Frisur. Er überließ sich der Schadenfreude. Sie hatte ihn zu einem Invaliden des Bettes gemacht, nun sollte sie sehen, wie sie mit der Situation fertig würde.
Schlagartig desertierte sein Triumpf: Er wußte, daß es Aglaia schaffte, daß sie womöglich bei Verhandlungen, zu denen sie formell gar nicht befugt war, weit bessere und günstigere Bedingungen herausholen würde, als er sie sonst heimbrachte. Für ihn war die Macht eine lästige Bürde, für seine Frau eine pragmatische Neurose.
Erik sah Jutta an.
Als er sie betrachtete, schien der Geruch ihrer Haut den Duft des Kaffees zu überlagern. Er vergaß einen Augenblick das Unglück seines Zustandes: den Komplex seines Lebens.
»Ich will dir etwas sagen«, begann er und zog so heftig an seiner Zigarette, als wolle er einen schnellen Rauchvorhang zwischen Jutta und sich legen. »Wenn ich ein – ein richtiger Mann wäre, ließe ich mich sofort scheiden und würde dich heiraten.« Die Sichtblende war zu dünn oder
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