Auf dem Rücken des Tigers
bescheiden, ihr Vollzug freilich außergewöhnlich. Einmal in St. Moritz ein linksstehender Kabarettist, noch dazu mit einem Bruchbein in Gips. Dann in Paris die Begegnung mit einem Transvestiten, den zu normalisieren sie gereizt hatte.
Sicher war es ungewöhnlich, als vielbegehrte Frau mit einem Mann verheiratet zu sein, der sich ihr nicht mehr männlich nähern konnte, aber womöglich wäre es noch exklusiver, diesen Eunuchen mit dem eigenen Neffen zu hintergehen.
Aglaia wußte um ihre sinnliche Mitgift.
In dieser Hinsicht hatte sie Erik einiges geboten und wohl auch zugemutet und dabei die immer kleiner brennende Flamme zum Erlöschen gebracht. Wenn aber, dann wollte sie, daß die Flammen bei der Verfeinerung durch Vergröberung hochschossen und explodierten.
Sie hatte, bevor sie sich ihrer Sinnlichkeit begeben mußte, den Sex wie eine Hexenmeisterin zelebriert. Seitdem bedeuteten ihr koitale Exzesse nicht viel, sofern sie nicht mit einiger Ungewöhnlichkeit gepaart waren. Es lag an ihrer gesellschaftlichen Stellung, daß sie exotischen Träumen widerstehen mußte. Vielleicht hatte sie sich deshalb angewöhnt, sich mehr aus der Macht als aus dem Bett zu machen.
Wenn sich Aglaia wieder mit einem Mann einließe, müßte er extravagant sein, ein Bierkutscher oder ein Parkwächter, ein Botenjunge oder ein Klosternovize. Doch letztlich wäre es zu gefährlich, da solche Kreaturen leicht zu Erpressern werden könnten.
Schon deshalb würde sie ihre verschwommenen Empfindungen nicht in praktizierte Zärtlichkeit ausarten lassen.
Aglaia hörte die stürmischen Schritte des Jungen jetzt ganz nahe. Vermutlich würde er wieder umkehren, aber sie brachte sich vorsorglich in Positur.
Sie lächelte, als Sebastian die Tür aufriß.
Er hatte sie schlafend erwartet.
Das Licht traf ihn wie ein Geschoß.
Er stand unsicher in der Tür, wie ein Eroberer, der beim Betreten der fallenden Festung aufrecht stirbt.
»Sebastian?« sagte sie mit überraschter Stimme.
Er starrte sie an.
Unsicher maßen seine Augen die Entfernung von der Tür zu Aglaias Bett, die Augen eines Löwen auf dem Sprung. Ihr Lächeln vergröberte sich: nicht der Blick der Bestie in freier Wildbahn, die unsteten Augen des dressierten Raubtiers in der Manege.
»Was ist mit dir los?« fragte sie.
»Ich muß mit dir reden.«
»Jetzt?« erwiderte Aglaia. »Und hier?«
Sie richtete sich auf, goutierte, daß sich seine Augen zwischen den Trägern ihres transparenten Nachthemds verloren und setzte hinzu: »Hast du getrunken?«
»Nicht viel«, erwiderte er mit gewürgter Stimme.
»Und was willst du hier?«
»Ich möchte mit dir schlafen«, antwortete er.
»Schlafen?« fragte Aglaia. »Was meinst du damit?«
»Wenn du willst, kann ich es auch anders ausdrücken.«
Er sprach wie mit Glassplittern zwischen den Zähnen. »Ich will dich vögeln.«
Er warf das Wort in den Raum wie einen Sprengkörper und erschrak, weil er sich über seinen Anschlag offensichtlich mehr entsetzte als Aglaia.
»Mich?« erwiderte sie. »Bitte!« setzte sie hinzu und wies lächelnd mit der Hand auf ihr Bett.
Aglaia tarnte ihr Verlangen mit Ironie, tarnte es wohl zu gut, denn der Junge differenzierte nicht.
Sein Blick hatte sich an ihr festgefressen, sie spürte ihn in ihrem Dekollete wie einen Biß, der sie so schnell atmen ließ, daß sich der sorgfältig berechnete Ausschnitt verschob und Rundungen, die sich sehen lassen konnten, vor allem, wenn man 36 war, sanft hoben und senkten und jedem grünes Licht signalisierten, der nicht ein farbenblinder Trottel wäre.
»Also, ich muß mit dir reden«, wiederholte Sebastian hastig.
»Setz dich«, erwiderte Aglaia und wies auf einen zierlichen Polsterstuhl neben ihrem Bett.
Mit den unsicheren Schritten eines Seiltänzers, der nicht schwindelfrei ist, tastete er sich heran.
Sein Gesicht wurde trotzig.
Seine Augen hatte er, wie zurückbefohlen, wieder bei sich.
»Erinnerst du dich noch an den Angriff auf deinem Galaabend?«
»Und ob.«
Der Junge stand eigentlich nur Christian näher. Aglaias Gedanken arbeiteten rasch, präzise. Es war durchaus möglich, daß ihn das schwarze Schaf der Familie in seine rüden Ränke eingeweiht hatte und daß der Junge nunmehr Christians Kopf als Morgengabe der Verführer überbrachte.
»Weißt du Näheres?« fragte sie.
»Und ob!« benutzte er ihre Worte. »Ich habe diese ganze Sache angezettelt.«
»Du – oder Christian?« fragte Aglaia scharf.
»Ich. Ich ganz allein«, antwortete er
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