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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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ragte sein Arm heraus.
    Auf ihm war das Blutgruppenzeichen eingeritzt, das ihn vermutlich nach Vietnam gebracht hatte. Sein Kopf, sauber abgeschlagen mit einem Coup-coup, einem Buschmesser, war auf einem Bambusstamm aufgespießt.
    Das tote Gesicht sah aus, als lächelte es über eine letzte Zote.
    Sieben Stunden später hatten wir unser Tagesziel erreicht.
    Während der Nacht blieben wir in Deckung. Per Funk rief Capitaine Camard im Morgengrauen einen Hubschrauber herbei.
    Er lud mich ein, mir an seiner Seite das Massaker von oben anzusehen, aus der Vogelperspektive. Als wir über dem brennenden Dorf kreisten, dessen Frauen und Kinder sterben mußten, erwies sie sich als Geierperspektive.
    Helle Lohen schlugen aus den Strohdächern.
    Die Oberlippe des Capitaines war gespannt wie ein Gewehrhahn.
    Er lächelte grimmig. Frauen und Kinder liefen blindlings in die Feuergarben der Legionäre, die das Dorf umstellt hatten.
    Der Hubschrauber landete auf einer freien Fläche vor dem Eingang. Während er behutsam aufsetzte, sah ich, daß eine junge Frau mit beiden Armen ihr Kind an sich preßte, als könnte sie es schützen, sah, wie ihr die Garbe des Maschinengewehrs zuerst den Arm absägte und dann ihr Kind in zwei fast symmetrische Hälften steppte.
    Die Schreie waren verstummt, selbst ihr Echo gestorben, nur das Prasseln der Flammen war zu hören. Ein leichter Wind verwischte die Qualmschwaden wie von Kains Opferaltar. Mein Speichel schmeckte nach Blut, das in Indochina billiger war als Benzin. Ich spuckte aus; der Geschmack blieb.
    In der Ferne hörte man die Schüsse des ersten Zugs, der nach dem Absprung seinen Hinterhalt angelegt hatte, geführt von Sergeant Chou-croute.
    Capitaine Camard nickte; seine Miene war kalt.
    Er wartete, bis die Ansiedlung niedergebrannt war, ließ die verkohlten Leichen einsammeln, aufeinanderlegen und erneut anzünden. Er wollte seine Resultate haben, doch sollten sie keine so klingenden Namen führen wie Lidice oder Oradour.
    »Allez!« trieb der Capitaine seine Legionäre wieder an.
    Eine Meldung verzögerte den Abmarsch.
    »Venez s'il vou plaît«, rief er mir zu.
    Wir gingen zwanzig Minuten, keuchend, von ein paar Leuten begleitet, die mit Augen und Waffen nach allen Seiten sicherten. Eine kleine Lichtung, dahinter ein Graben: inmitten seiner gemeuchelten Kameraden Sergeant Chou-croute, der Kompanieschwätzer. Er konnte nicht mehr reden, und es lag nicht nur daran, daß im Mund seines abgetrennten Kopfes sein Glied wie ein Knebel steckte.
    Capitaine Camard fixierte mich mit wässerigen Augen, als ich den Gemeuchelten betrachtete.
    »Schon mal 'nen Toten gesehen?« fragte ich.
    »Boche«, erwiderte er.
    »Wen meinen Sie eigentlich, mon capitaine«, fragte ich, »ihn oder mich?«
    Der Mandarin ließ sich in Saigons Prunkhotel »Metropole« von einem Masseur durchkneten. Wir lagen nebeneinander auf Pritschen.
    Er las die »New York Times«, faltete das Blatt zusammen, warf es mir herüber. »Das Neueste«, sagte er: »Der Mann hat bloß dreiundzwanzig Chromosomen-Paare …«
    »Bloß?« fragte ich.
    »Bisher maßen uns die Forscher vierundzwanzig Keimschleifen zu.« Der Mandarin stand auf, machte mit seinem hageren, zappeligen Körper Yoga-Verrenkungen. »Nicht einmal auf seine Chromosomen kann man sich mehr verlassen.«
    »Die Frage ist auch«, entgegnete ich, »wieweit man sich auf Ihre Zusicherungen verlassen kann.«
    »Mein Wort«, erwiderte der Major. »Sie werden in zwei, höchstens drei Tagen mit einer Transportmaschine in unser köstliches Dien-Bien-Phu eingeflogen.« Er drehte sich um, vom Rücken auf den Bauch: »Ich muß Dampf hinter die Sache setzen, mon ami, damit Sie wieder heil herauskommen.« Er gab seine Yoga-Übungen wieder auf. »Die Mausefalle schnappt bald zu. Verlassen Sie sich darauf.«
    Natürlich verschaffte mir der Mandarin den Flug nicht, um mir einen Gefallen zu tun, wie er vorgab: Er wollte mit Hilfe ausländischer Zeitungen Paris vor dem Dien-Bien-Phu-Abenteuer warnen, vor dem ureigenen Plan seines glorreichen Oberbefehlshabers. Er mußte seine Intrige vorsichtig lancieren, deshalb lungerte ich im Hotel herum und langweilte mich schwitzend; die Klimaanlage war ausgefallen.
    Diese technische Panne erwies sich als um so fataler, da sie mein Zusammensein mit Ethel behinderte, einer Neuengländerin aus Boston. Wer ihrer Attitüde von hochmütiger Unberührtheit traute, war selbst daran schuld. Jedenfalls schlief sich die amerikanische Kriegs-Korrespondentin ihre

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