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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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konnte, und nahm sie lustlos wieder an sich. Dann trat er mit der Einheit an, um Einsatzbefehl, Verpflegung und Munition zu fassen.
    Capitaine Camard kam auf mich zu. Seine Augen waren klein, wie von einer durchsichtigen Folie überzogen: »Pazifist?« fragte er.
    »In etwa«, erwiderte ich; er konnte mich nicht mehr zurückschicken.
    »Über eine solche Begegnung freue ich mich«, versetzte der Major. »Sie können sich mit eigenen Augen davon überzeugen, was uns diese Schweine antun.«
    »Und Sie ihnen?« fragte ich.
    »Wir sind Soldaten«, entgegnete er, »unsere Gegner sind Mörder.«
    Ich schwieg: Was hätte ich ihm erwidern sollen? Daß alle Soldaten Mörder sind, selbst solche, die für eine bessere Sache kämpfen? Daß die bessere Sache auch nur Mord sein kann, gleichgültig, für oder gegen wen? Daß die von den Viets Gemetzelten für die koloniale Korruption starben, mit dem Leben zahlend, damit andere daran verdienten?
    »Einen Mann wie Sie habe ich mir schon lange gewünscht«, sagte der Capitaine. »Schon mal 'nen Toten gesehen?«
    »Einen?« fragte ich.
    Die Wagen ratterten los.
    Wie auf einem glühenden Rost verbrannte die Erde die Reifen, doch gleich kühlte sie wieder lauwarmer Schlamm. Gelegentlich blieben wir im Morast stecken, und die Legionäre griffen fluchend in die Räder und machten den Karren wieder flott.
    Es war ein schmaler Weg, auf dem die Karawane der Vergeltung entlangzog, ein Fahrzeug hinter dem anderen, dicht besetzt mit schwitzenden und dösenden Legionären: Der trockene Mund verbot das Rauchen und das Reden.
    Nach ein paar Stunden war der Pfad zu Ende.
    Die Kompanie Camard ließ die Fahrzeuge zurück und formierte sich, weit auseinandergezogen, doch in Sichtnähe, zum Anmarsch auf das Ziel.
    Der erste Zug verabschiedete sich. Die Legionäre, unter ihnen Sergeant Chou-croute, würden in ein paar Stunden mit einer Transportmaschine in den Einsatz fliegen, um erster Klasse in den Tod zu reisen.
    Die Erde dampfte.
    Aus lauwarmen Reisfeldern kam der Dunst wie giftiger Dampf. Die Legionäre balancierten über schmale Raine. Mitunter rutschte einer aus, fiel fluchend in die Lehmbrühe, das Gewehr hochhaltend, um den Lauf zu schützen. Wer half, fiel selbst in den Dreck. Die flirrende Luft spiegelte Viets vor.
    Nach zwei Kilometern Dschungel kamen wieder Reisfelder, saubere Quadrate, gerade gezogen wie Sportplätze. Warfen sie Blasen, konnten es Frösche sein – oder auch Vietminhs, die sich auf dem seichten Grund verbargen, ein hohles Bambusrohr als Schnorchel nutzend.
    Sie hielten es stundenlang aus.
    Ihre ausgezehrten Körper waren an Strapazen gewöhnt. Der Haß auf die Tays und ihre Kollaborateure mehrte ihre Kräfte. Sie fürchteten das Leben mehr als den Tod. So brutal das System auch sein mochte, in das ihr Befreiungskampf mündete: in jedem Fall wäre es bes ser als korrupter Feudalismus.
    Der Mann vor mir fiel unvermittelt um.
    Die anderen warfen sich in Deckung.
    Als ihre MPs die Stille zersiebten, begriff ich: die Strafexpedition hatte ihren ersten Toten.
    »Arretez!« befahl Capitaine Camard.
    Während die Legionäre für den Toten ein Schlammgrab richteten, rauchte er eine Zigarette. Er sah auf den Boden. Dann starrte er mich an.
    »Sie hätten doch ihr Gewehr mitnehmen sollen«, sagte er.
    »Hat es ihm genutzt?« fragte ich und deutete auf den Gefallenen.
    »Ausgerechnet Mühlbauer«, antwortete Camard. »Ein blendender Klavierspieler.«
    »Es ist so schön Soldat zu sein …«, pfiff ich. »War es sein Lieblingslied?« fragte ich.
    »Mondscheinsonate«, entgegnete der Major. »Sie wissen: von Ihrem Landsmann Beethoven.«
    »War Beethoven auch ein guter Soldat?«
    »Sie Idiot«, versetzte der Offizier. »Meinen Sie, daß wir jemals vor diesen gelben Affen ausreißen werden?«
    »Wenn Sie es bis dahin noch können.«
    »Und dann?« fragte Camard, warf seine Zigarette weg und trieb seine Leute mit einem unwilligen Blick an, die Beerdigung mit Beeilung vorzunehmen. »Dann kommen die Amerikaner. Dann wird noch mehr geschossen und noch mehr getötet«, sagte er hämisch. »Sie Narr. Ich wollte, es hätte Sie erwischt.«
    Das war sein Requiem für Mühlbauer, den Legionär erster Klasse.
    Wir zogen weiter, blieben im Dickicht liegen und kehrten um, um uns mit den Buschmessern einen anderen Pfad zu schlagen. Als wir den Damm zwischen den Reisfeldern betraten, war Mühlbauer umgebettet worden: sein Rumpf schwamm als Kadaver in der Schlammbrühe, ausgezogen, nackt.
    Wie drapiert

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