Auf dem Schlachtfeld der Liebe
dachte Jerome müde. Solche Scharmützel führten keine Entscheidung herbei. Dabei verschwendete man nur kostbares Menschenleben, Munition und medizinische Vorräte.
In der Nacht half er Tia und Julian, die Verletzten zu versorgen. Wie Jerome erwartet hatte, ärgerte sich sein Vetter, weil Ian nicht mit ihm Verbindung aufgenommen hatte. »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich meinen Bruder zuletzt gesehen habe.«
»Was wollte er von dir, Jerome?« fragte Tia.
»Nichts Besonderes. Er teilte mir nur mit, daß ich Vater werde, und er dachte, ich sollte diesbezüglich was unternehmen.«
Tia schnappte nach Luft, und Julian hob amüsiert die Brauen.
»Bloß keine Kommentare!« mahnte Jerome.
»Was wirst du tun?« erkundigte sich Julian höflich.
»Meine Pflicht. Was sonst?«
»Und wie willst du das schaffen?« seufzte Tia.
»An einem der nächsten Abende werde ich Mittel und Wege finden, um nach St. Augustine zu gelangen.«
»Das ist Wahnsinn!« protestierte sie. »Derzeit wird die Stadt gesäubert. Der Yankee-Kommandant verjagt alle Bewohner, die mit der Konföderation sympathisieren. Wer sich weigert, der Union die Treue zu schwören, wird auf ein Schiff verfrachtet.«
»In St. Augustine leben aber auch noch ein paar Rebs, die sich still verhalten. Also werden mich nicht nur Feinde umgeben.«
»Du wirst im Castillo landen!«
»Dort saß mein Vater einmal mit Osceola und anderen Seminolen, die jemand verraten hatte. Er konnte fliehen, und ich kenne den Weg, der in die Freiheit führt.«
»Falls du die Stadt überhaupt erreichst«, wandte Julian
ein.
»Nichts wird mich daran hindern.«
»Nicht einmal ein halbes Dutzend Yank-Kompanien?« gab Tia zu bedenken.
»Nicht einmal tausend«, versicherte Jerome.
Als Risa in einer Kutsche durch die Straßen von St. Augustine fuhr, bemerkte sie, wie sehr sich die Stadt verändert hatte. Überall hielten Unionssoldaten Wache. Wenn sie früher einen Angriff der Rebellen befürchtet hatten, waren sie in die alte Festung geflüchtet. Das Castillo San Marcos, von den Spaniern so genannt, hieß jetzt Fort Marion, ein majestätisches Kalksteingebäude aus den Gehäusen von Schalentieren.
Von ihren Begleitern, Bartholomew und Mary DeGarmo, erfuhr Risa, eine Versammlung sei einberufen worden, bei der die Stadtbewohner der Union einen schriftlichen Treueeid leisten sollten. Wer sich weigerte, wurde ausgewiesen.
Viele hatten ihr Heim bereits verloren, aber Risa brachte Verständnis für beide Seiten auf. Natürlich waren die Rebellen wütend, weil ihre Familien so grausam behandelt wurden, und die Yankees lehnten es ab, in diesen harten Kriegszeiten Leute durchzufüttern, die sich womöglich gegen sie verschworen.
Während sie sich umschaute, zeigte Bartholomew, ein großer, kräftig gebauter Spanier, einem Wachtposten die Reisepässe. Die Unionstruppen hatten die Verteidigungsanlagen verstärkt. Nördlich von der Festung war ein Schützengraben ausgehoben worden, der vom North River zum Sebastian River führte. Ein Wall schirmte die Stadt gegen das Landesinnere der Halbinsel ab, auf der sie lag. Über die Mauern des Fort Marion ragten zahlreiche Kanonenrohre.
Die Umgebung von St. Augustin hatte man teilweise gerodet, um Platz für Schlachten zu schaffen. Die San Sebastian-Brücke bei der King Street, von Westen her der einzige Zugang zur Stadt, wurde streng bewacht. Vermutlich lagen die Quartiere der Besatzungstruppen wie bei Kriegsbeginn noch im Süden von St. Augustine. Aber Risa entdeckte auch am nördlichen und am westlichen Stadtrand mehrere Zelte.
Eine weibliche Stimme rief ihren Namen, und sie sah Alaina zur Kutsche eilen. Erfreut stieg sie aus. Sie hatte ihr während des kurzen Aufenthalts in Jacksonville eine Nachricht geschickt und gehofft, die Freundin würde ihr über das qualvolle Gefühl der Einsamkeit hinweghelfen.
Lachend umarmten sie sich, was wegen Alainas fortgeschrittener Schwangerschaft etwas schwierig war. Risa machte Alaina mit den DeGarmos bekannt, die inzwischen alle Formalitäten erledigt hatten. Dann folgte sie ihr zu ihrem Wagen, neben dem Finn McCullough stand. Seit ihrer Gefangennahme hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Nun drückte sie lächelnd seine Hand.
»Wie schön, daß Sie wieder da sind, Risa!«
»Und das ist Dr. Thayer Cripped«, stellte Alaina den schlanken, etwas schmächtigen Mann vor, der die beiden Frauen zusammen mit Finn erwartet hatte.
»Soviel ich weiß, arbeiten auch Sie als Krankenschwester, Miss Magee«, bemerkte er.
Weitere Kostenlose Bücher