Auf dem spanischen Jakobsweg
Sir Francis Drake, übrigens ein alter Bekannter der
Spanier. Er hat nicht nur die Kartoffel und das Tabakrauchen nach Europa
gebracht, er hatte auch bereits im Jahre 1573 auf der Höhe von Panama in
Piratenmanier den Spaniern einen Silbertransport von 40.000 Pfund abgenommen,
was nicht nur seinen Ruhm, sondern auch seinen Aufstieg in der englischen
Admiralität unter Elisabeth I. begründet hat. Aber auch anderes war vor diesem
Teufelskerl nicht sicher: Im Jahre 1589 bedrohte er sogar Santiago de
Compostela, und damit war die Reliquie des Heiligen Jakobus in Gefahr, nach
England verschleppt zu werden. Deshalb wollte man sie nach Orense verlagern.
Dabei soll sie verschwunden und bis 1879 verloren gewesen sein, wo man sie dann
bei Umbauarbeiten unter dem Hochaltar der Kathedrale wiedergefunden hat. Papst
Leo XII. bestätigte dies in seiner Bulle vom 1. November 1884.
Philipp II. aber, durch
dessen Festungsanlagen in Pamplona wir soeben laufen, hat den Zusammenbruch
seiner Politik auf eine besonders makabre Weise in Szene gesetzt: Als er im
Jahre 1598 in der von ihm ebenfalls erbauten Klosterresidenz El Escorial sein
Ende nahen fühlt, läßt er sich einen Totenschädel bringen, auf dem eine goldene
Krone ruht.
Hemingway
betet in der Kathedrale zu Pamplona
Über den Paseo
de Sarasate, benannt nach einem berühmten Geiger aus Pamplona, kommen wir zur
San Nicolás Kirche, ursprünglich eine romanische Wehrkirche. Da sie nicht
abgeschlossen ist, können wir sie auch von innen besichtigen. Danach trinken
wir auf der ganz nahe gelegenen „Plaza del Castillo“ Bier. Wir haben wieder
Durst bekommen. Natürlich fällt uns an diesem schönen Platz mit den vielen
Straßencafés Hemingway ein, der Vortreffliche, der hier nicht nur sein Unwesen
getrieben, sondern dies alles in seinem Roman „Fiesta“ auch so einmalig
beschrieben hat. Über eine Stunde lang sitzen wir hier. Es ist
Samstagnachmittag, die Siesta hält noch an. Doch an dieser Plaza dürfte wohl
immer Leben sein. Nur gibt es jetzt kein Gedränge, keine Hektik. Man kann die
Beine von sich strecken. Es ist warm und hell, die Sonne noch hoch oben. Wir
freuen uns, jetzt hier sitzen zu können. Wir plaudern und lachen, beobachten
die anderen Gäste und die Passanten, trinken Fassbier und meinen, dass dies
eine schöne Pilgerreise ist. Dann gehen wir die Calle de la Estafeta hinunter,
die berühmte schmale Straße, durch die sie während der Ferias de San Fermín, im
Juli, die Stiere treiben und stehen plötzlich vor der berühmten Arena. Hier
stößt man erneut auf Hemingway. Die Straße an der Arena entlang haben sie nach
ihm benannt und auf dem Platz vor der Arena steht eine große Büste von ihm. Er
hat Pamplona geliebt, und Pamplona liebt ihn noch immer.
Von der
Arena aus laufen wir auf weiteren Festungsanlagen durch den Parque de la Tejera
bis hinauf zur Kathedrale. Die Siesta ist jetzt längst vorbei, die Stadt zur
gewohnten Betriebsamkeit zurückgekehrt, die Hitze hat nachgelassen — und die
große Kirche ist jetzt offen. Von 1397 bis 1525 hat man an ihr gebaut,
allerdings auf den Fundamenten einer älteren Kirche, wahrscheinlich sogar eines
römischen Kapitols. 1584 wurde eine Glocke für den Turm an der Nordseite
gegossen, die 12.000 Kilogramm wiegen soll, womit sie die zweitgrößte Glocke
Spaniens wäre. In dem prachtvollen Alabastergrabmal im Hauptschiff ist Karl
III. mit seiner Gemahlin beigesetzt.
Ich sitze,
versunken in meine Gedanken, in einer Bank der Kathedrale und nehme bei dem
düsteren Licht in dem großen Gebäude meine Umgebung nicht mehr richtig wahr.
Die vergangenen drei Tage ziehen noch einmal an mir vorbei. Wir sind erst
siebzig Kilometer gelaufen und haben schon viel gesehen. Aber wir sind noch
weit, sehr weit, vom Ziel entfernt. Dieses Ziel tritt in meinen Gedanken von
Tag zu Tag mehr in den Hintergrund, wird immer undeutlicher, ganz so, als
wollte es sich, je mehr man sich ihm nähert, um so nachhaltiger entziehen. Dann
sind meine Gedanken noch einmal beim einsamen, zu Eis erstarrten Philipp II.,
und ich frage mich, ob er unter seiner Entrücktheit nicht auch hat leiden
müssen. Aber dann fällt mir wieder der Roman „Fiesta“ ein, den ich vor meiner
Abreise noch einmal gelesen habe. Und da kommt im Dämmerlicht plötzlich die
schwere, aber noch jugendliche Gestalt Hemingways in die Kathedrale. Und er
setzt sich hin und beginnt zu beten, für alle, an die er denken konnte: Brett
und Mike und Bill und Robert Cohn und
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