Auf dem spanischen Jakobsweg
drängen.
1236
schließlich eroberten christliche Heere Cordoba und in rascher Folge alle
anderen „Taifas“, wie man die kleinen Fürstentümer der Muslime nannte. Darunter
waren Valencia, Murcia, Cadiz, Jaën und vor allem Sevilla. Einzig und allein in
Granada konnten sich die Mauren behaupten. Hinter den dicken Mauern ihrer Burg,
der Alhambra, errichteten sie ihr letztes muslimisches Paradies auf spanischem
Boden. Hier in Granada versammelten sie sich alle noch einmal, die Philosophen,
die Künstler, die Gelehrten, die Dichter, die Sänger und die Kunsthandwerker.
Und oben, im morgenländischen Zauber der Alhambra, in ihren grazilen Palästen,
in ihren Innenhöfen mit den plätschernden Brunnen, im betäubenden Wohlgeruch
ihrer Gärten, hier, „wo der Wind die Flöte spielt, wo das Mondlicht wie Blumen
von den Zypressen tropft, wo mandeläugige, ewig junge Frauen an ihrer Seite
leben“, wie ein arabischer Dichter sang. Hier träumte die Dynastie der Nasriden
ihren letzten, langen Traum. Es war ein zerbrechlicher, ein unruhiger Traum. Im
Innern wurde er zernagt von Fehden und Intrigen und von außen bedroht von den
unerbittlichen Schwertern der Reconquista. Aber erst am 2. Januar 1492, einige
Monate später, wird Christoph Kolumbus in die Neue Welt aufbrechen, übergab
Boabdil, der Nasriden letzter Herrscher, seine Alhambra den „Katholischen
Königen“ Ferdinand und Isabella, kampflos und weinend. Und seine Mutter
verspottete ihn: „Weine nicht wie ein Weib, da du nicht kämpfen mochtest wie
ein Mann.“
Kurz vor dem
Dorf Villa Mayor de Monjardín komme ich bei der „Fuente de los Moros“, der
„Quelle der Mauren“, an eine überdachte Zisterne, erbaut im 13. Jahrhundert.
Eine Steintreppe führt bis zur Wasseroberfläche hinunter. Es ist reichlich
Wasser vorhanden, klares, frisches Wasser.
Ich bin
schläfrig geworden, der Wein am Kloster Irache und die große Flitze mögen das
bewirkt haben. So lege ich mich hinter das kleine Brunnenhäuschen in den
Schatten, stütze meinen Kopf auf meinen Rucksack und döse vor mich hin.
Ob die
Mauren hier eine feste Siedlung hatten? Wohl nicht, denn als diese Brunnenstube
gebaut wurde, die mit ihren beiden Torbögen eher wie eine Einsiedelei aussieht,
wagten sie sich wohl nicht mehr so weit in den Norden Spaniens vor. Vielleicht
gab es vorher hier nur eine Quelle, an der sie ihren Durst löschten und ihre
feurigen Pferde saufen ließen? Jene Pferde, deren Schnelligkeit schon Karl
Martell im Jahre 732 bei Tours und Poitiers kennengelernt hatte. Denn damals, als
sich die Mauren nach dem Gefecht, ihren Feldherrn schon im Leichentuch, auf
ihren wendigen Araberpferden fluchtartig zurückzogen, konnten ihnen die Franken
auf ihren schweren, massigen Kaltblütern nicht nachsetzen. Trotzdem hatte Karl
Grund zur Freude: Die Muslime waren zurückgedrängt und ihre vielen, auf der
überstürzten Flucht zurückgelassenen Pferde wurden von den Franken eingefangen
und später mit den schweren germanischen Rössern gekreuzt. Es sollte den
Franken nicht wieder passieren, auf Ochsen hinter Gazellen herreiten zu müssen.
Doch springen
meine Gedanken noch einmal hinüber nach Cordoba, nach Sevilla und Granada. Dort
bin ich vor vielen Jahren, als junger Mann und auch mit einem Rucksack auf dem
Rücken, zum ersten Mal durch die steinerne Hinterlassenschaft dieser großen
Zeit gegangen. Jetzt bewege ich mich noch einmal behutsam durch die Mezquita in
Cordoba und lasse den sich bei jedem Schritt verändernden Säulenwald auf mich
wirken, besteige noch einmal die Giralda in Sevilla, sitze noch einmal in den
feingliedrigen Innenhöfen der Alhambra. Mit ein bisschen Wehmut. Denn wo auf
der Erde ist ein Ort gleich diesem, an dem die Vergänglichkeit des Menschen so
fühlbar, so einprägsam ist wie hier, wo aus dem Zauber von Stein und Raum, von
Licht und Wasser, von Blumen und Zypressen, noch immer ein Lied herauszuhören
ist, dessen Sänger schon lange schweigen. Und dann gehe ich durch einen großen
Wald mit grünen Bäumen und bunten Blumen zu einer alten Frau, in deren Garten
ich als Kind spielen durfte und glücklich war. Aber wie ich vor ihrem großen,
weißen Pfaus stehe und nach ihr rufe, damit sie mir aufmache, fällt mir ein,
dass sie hier schon lange nicht mehr wohnt, vor langer Zeit hier weggezogen
ist. Und ich bin sehr traurig. Plötzlich höre ich das Wiehern von Pferden — und
wache auf. An der „Mauren-Quelle“ gehen zwei junge Frauen vorbei, ohne mich zu
bemerken. Sie
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