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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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durch Hitze auch nicht mehr richtig
aufnahmebereit.
    Doch auch
jetzt, da ich wieder in dieser Kathedrale stehe, bin ich irritiert. Natürlich
ist die Architektur hier feinste Hochgotik, vertikales Streben, aufsteigende
Linien, Spitzbögen, Rippengewölbe, Auflösung der Mauerflächen für nach oben
führende Fenster. Aber das Schwebende einer gotischen Kathedrale, das
Losgelöstsein von aller Erdenschwere, die scheinbare Aufhebung der Gesetze der
Schwerkraft, die miteinander verbundene Gesamtharmonie, das alles zeigt sich
hier nicht. Das Innere dieser Kirche wirkt auf mich eher wie eine düstere,
geheimnisvolle Riesenhöhle, voll von Grotten, Nischen und Winkeln, Gebetsecken,
Grüften und vor allem prunkvoll überladenen Seitenkapellen. Durch den in die
Mitte des Innenraums gestellten „Coro“, eine Kirche in der Kirche, wird der
freie Durchblick unterbrochen, wirkt der Innenraum verstellt, zerteilt, ja
zerrissen, ganz so, als sollte dem Besucher der Gesamteindruck verwehrt
bleiben. Magisches Empfinden wird hier wohl stärker stimuliert denn mystisches
Erleben.
    Ich setze
mich in eine Bank und sage mir, dass ich wahrscheinlich viel zu wenig von
solchen Dingen verstehe. Ich bin nur ein einfacher Pilger auf dem Weg nach
Compostela, ich bin verschwitzt und verstaubt, müde und hungrig und muss
weiterziehen.
    Vor der
Kathedrale erklären mir zwei liebenswürdige Kirchenmänner den Weg zur Herberge.
So gehe ich unter den schattigen Bäumen am Río Arlanzön westwärts, schwinge
meinen Pilgerstock und pfeife so fröhlich und falsch vor mich hin, dass sich
alle die Ohren zuhalten müssen.
     
     

Mummenschanz
in der Pilgerherberge
     
    Ich liege
auf dem „Oberdeck“ eines Stockbetts der Pilgerherberge in Burgos, mache mir
Notizen in mein Tagebuch und meditiere vor mich hin. Es ist noch sehr ruhig in
unserem Schlafsaal. Heinz und Tobias liegen auf ihren Betten und lesen, Octavio
aus Brasilien ist eingeschlafen, Al und Mike, unsere beiden Engländer, haben
ihre Augen geschlossen ohne zu schlafen, einige andere, die ich vorher noch nie
gesehen habe, liegen auch auf ihren Betten und zwei Japanerinnen, ebenfalls
neue Gesichter, fingern — geräuschlos wie zwei wohlerzogene Mäuschen — in ihren
Rucksäcken herum.
    Da sind auch
noch, auf ihren Betten gleich am Eingang liegend, die beiden Bergbauern aus
Kärnten. Ich habe schon früher erzählt, dass wir den älteren von beiden
heimlich „Peregrin“ nennen, seit Belorado, wo er in der Kirche Santa Maria die
ganze Nacht über, so hatten wir den Eindruck, vor der Statue des Heiligen
Peregrinus betend und vielleicht auch ein bisschen singend verbringen wollte,
während ihn die Figur unseres Heiligen, zu dessen Grab ja auch er auf
Pilgerreise ist, nicht sonderlich zu interessieren schien.
    Beide,
Peregrin und sein Gefährte, sind auch schon ältere Knaben, beide hager,
hochgewachsen und sehnig. Vor allem Peregrin hat ein tief zerfurchtes, von
schwerer Arbeit gezeichnetes Bauerngesicht. Man sieht ihn vor sich, wie er mit
der Sense durch das Gras einer steilen, für Traktoren unzugänglichen Bergwiese
fährt, Schweißperlen im Gesicht und schwer atmend, archaisch in sich ruhend.
Auch wenn wir ihn ansprechen, sprudelt es nicht gerade aus ihm heraus, aber wir
kommen trotzdem mit ihm ins Gespräch. Mit Österreichern haben wir aus Bayern
keine Anlaufschwierigkeiten, es läuft so, wie es eben unter Vettern und Basen
zugeht, man mag sich auf Anhieb oder nicht und meistens mag man sich. Aber
egal, ob Österreicher, Bajuware oder Franke, manche meinen doch tatsächlich,
dass uns alle ein dezenter, den Österreichern sogar ein charmanter Hauch von
Schlitzohrigkeit und Doppelbödigkeit umflort — und auch eine gewisse
Wurstigkeit. Aber da möchte ich doch anfügen dürfen, dass Letzteres allenfalls
in wichtigen Dingen der Fall sein mag, während wir bei Kleinigkeiten schon sehr
heftig werden können.
    Plötzlich
wird die behagliche Ruhe in unserem Schlafsaal ebenso abrupt unterbrochen wie
meine Betrachtungen über die Verwandten südlich und nördlich und an der blauen
Donau. Denn forsch geht die Türe auf und herein kommt, nein, herein schreitet
eine hochgewachsene, nein, eine hohe, ja hehre Frau, bei deren Anblick man
unwillkürlich zusammenzuckt. Denn sie, das spürt man sofort, hat engen Anteil
am Weben und Wabern der ewigen Schicksalsmächte. Dennoch kann der überirdische
Hort, an dem sie waltet, nicht Bayreuth sein, sie ist zwar hoch und licht,
nicht aber dick genug und auch

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