Auf dem spanischen Jakobsweg
Samsonite-Koffer
in der Hand über den Camino wandert. Doch dies wußten Mike und Al auch, nämlich
dass wir nie in den Genuss eines solchen Anblicks kommen würden, denn bei ihrer
Pilgerreise waren Bus, Bahn und Taxi als Transportmittel vorgesehen. In dieser
Hinsicht, so raunte uns Mike zu, sei der Heilige Jakobus überhaupt nicht
pingelig. Und wir waren uns mit den beiden Engländern völlig einig darin, dass
es sehr schön ist, auf dem Jakobsweg noch solche Originale anzutreffen.
Bummel durch eine
alte gotische Stadt
Obwohl es
gestern in der Herberge gegen Abend noch sehr eng wurde und schließlich in
beiden Schlafsälen alle Betten belegt waren, habe ich gut geschlafen. Wir
stehen heute erst auf, nachdem es draußen Tag geworden ist. Die Wolken, die es
gestern immer wieder gab, sind verflogen, es wird ein heißer, sonniger Tag
werden, so, wie ich es mir immer zum Geburtstag wünsche. Aber dies wird heute
mein Geheimnis bleiben, in ein paar Tagen werde ich es meinen Gefährten
offenbaren und sie zum Abendessen einladen. Heute aber will ich kein Theater.
Wir haben
unsere Rucksäcke in der Herberge zurückgelassen und laufen am Río Arlanzón
entlang in die Innenstadt von Burgos. Auf beiden Seiten des Wassers, vor allem auf
der Seite der Kathedrale, sind, langgezogen wie eine Flussoase, Parkanlagen
entstanden, in deren Schatten man auch sehr heiße Tage ertragen kann.
Tobias wird
sich gleich von uns trennen und zum Kloster Miraflores laufen, etwas außerhalb
von Burgos gelegen. Heinz und ich wollen in der Innenstadt bleiben, am
Nachmittag noch das Kloster Las Huelgas auf suchen.
Eigentlich
ist man etwas zerrissen. Wäre es nicht sinnvoller, auf einer Pilgerreise die
Großstädte nur so kurz wie möglich zu streifen, um eine Kirche oder ein Kloster
zu besichtigen, vielleicht noch um zu übernachten? Viele Pilger machen das so,
sie sind davon überzeugt, dass die Betriebsamkeit einer Großstadt mit der Idee
des Pilgerns nicht vereinbar ist. So ziehen viele von denen, die wir unterwegs,
zum Teil schon in Roncesvalles, kennengelernt haben, heute Morgen bereits
weiter. Manche wird man wieder treffen, einige wohl erst in Santiago, wo alle
ein paar Tage bleiben wollen, andere wird man aber auch nie mehr wiedersehen.
Das ist eigentlich sehr schade. Aber eine Pilgerreise ist ein Spiegelbild des
Lebens. So hat man uns das schon in der Pilgermesse in Roncesvalles gesagt. Mit
sehr schönen Worten und in sehr eindringlichen Bildern, die man nicht mehr
vergisst. Auch im Leben ist es so, dass gute Bekannte plötzlich aus unserem
Gesichtskreis verschwinden oder dass man gute Freunde verlieren kann.
„Wo steckt
eigentlich Paolo?“ frage ich Heinz.
„Ich weiß es
nicht, ich glaube den haben wir zum letzten Mal in Belorado gesehen, der hat
seinen eigenen Kopf, der übernachtet nicht in jeder Herberge, wenn dem etwas
nicht passt, zieht der einfach weiter.“
„Ja, das ist
mir auch schon aufgefallen. Und schwer zu sagen, was ihm wo nicht passt. Der
hat wirklich einen ganz eigenen Kopf.“
„Ich denke,
dass der manchmal im Freien übernachtet. Eigentlich ist das sogar schöner. Wir
sollten vielleicht auch mal wieder draußen schlafen.“
Mit Paolo
ist das so: Alle mögen ihn, er strahlt Ruhe und Zuversicht aus, der Hüne aus
Porto Alegre. Er hat Humor und ist hilfsbereit, aber er ist nicht einer von
denen, die viel reden. Ich bin mit ihm schon viele Kilometer gemeinsam
gewandert und natürlich haben wir auch miteinander geplaudert, aber hier auf
dem Camino versucht man nicht, in die Privatsphäre des anderen einzudringen.
Immerhin hat er mir erzählt, dass er mit Schreiben sein Geld verdient. Mag sein,
dass ich später noch mehr von ihm erfahre, vielleicht in Santiago beim Wein in
einer Kneipe, wenn wir unsere Ankunft feiern. Es würde mich allerdings
interessieren, worüber so einer schreibt. Eigentlich gehört er zu den Menschen,
bei denen die Worte hinter den Gedanken zurückbleiben, ein Archetyp aus einer
Welt, in der es nach Pferden riecht und nach weitem Land, nach Staub, Sonne,
Wind und Regen, nach Dingen, für die man Kraft und Mut braucht. Aber zu diesem
Klischee passt wieder überhaupt nicht seine auffällige Nachdenklichkeit, sein
scharfes Beobachten aller Dinge, die sich in seinem Umfeld abspielen, seine
einfühlsamen Reflexe. Manchmal frage ich mich sogar, ob das vielleicht der
bekannte brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho sein könnte, der ein Buch
über den Jakobsweg geschrieben hat und
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