Auf dem spanischen Jakobsweg
kein holder Abendstern. Aber zu Wotans Gefolge
gehörend, in heiligen Nächten auf weißem Rosse in wilder Jagd über die
sturmgepeitschten Baumwipfel durch die Lüfte reitend? Ihr wildes,
unerbittliches Gesicht und ihr infernalisch stolzer Gang, das würde alles schon
passen. Aber ihr Aufzug, mein Gott, ihr Aufzug! Pelerine aus dunkelbraunem
Filz, behängen mit Jakobsmuscheln, dunkler Schlapphut, überlanger Pilgerstab,
Kürbisflasche und Christussandalen. Wotans Heerscharen würden mit ihren weißen
Rössern um die Wette wiehern.
Aber nun
reitet sie ja auch nicht durch die Luft, sondern schreitet durch unseren
Schlafsaal, bis in die hinterste Ecke, dorthin, wo auf einem Bett ein
Samsonite-Koffer liegt, in dem sie herumkramt, bevor sie wieder durch den Saal
zurück und durch die Türe hinausschreitet.
Was war denn
das? Hatten wir etwa eine Erscheinung? Jakobus, dem ja schon die Metamorphose
zum Matamoros so gut gelungen ist, jetzt mal in weiblicher Gestalt? Oder
wenigstens seine Haushälterin, die hier nach dem Rechten sieht?
Ich bin mit
meinen Deutungsversuchen noch lange nicht fertig, da entsteht in unserem
Schlafsaal erneut Unruhe. Mag das, was sich hier soeben ereignet hat, nun ein
Mirakel oder nur ein Spektakel gewesen sein, alles wiederholt sich jetzt auf
der Bühne unseres Schlafsaals. Allerdings in einer übersteigerten, in einer possenhaften
Parodie. Und diesmal ist es Peregrin, der hocherhobenen Hauptes und mit
gebieterischer Mine durch den Saal schreitet. Endlich können wir jetzt alle
lachen, unsere Perplexität löst sich und einige klatschen sogar Beifall. Das
aber stimuliert wieder Peregrin, er steigert sich in seine Rolle hinein, sein
dünner, faltiger Hals wird immer länger und seine zum Himmel verdrehten Augen
quellen aus seinem ergriffenen Antlitz heraus, als wolle er sie gleich
himmelwärts katapultieren. Und sein Gang macht dem Vorsteher einer
Storchenkolonie alle Ehre. Leider aber verliebt er sich in seinen Auftritt und
hört auch dann nicht auf, als der weibliche Wiedergänger des Apostels plötzlich
erneut unter dem Türpfosten steht. Zwar bleibt uns, den Zuschauern, augenblicklich
das Lachen im Hals stecken. Peregrin jedoch, die erneute Erscheinung unter dem
Tür-Irogen gerade im Rücken und die Augen zum Himmel verdreht, erkennt die
drohende Gefahr nicht, jedenfalls schreitet er weiter bis an das obere Ende des
Schlafsaals, wendet dort gravitätisch — und erblickt in der anderen Ecke den
Heiligen Jakobus in weiblicher Ausgabe. Wie vom Blitz getroffen, verwandelt er
sich wieder zum Bergbauern, sein Hals wird kürzer, seine Augäpfel treten in
ihre natürlichen Höhlen zurück und gebeugt unter der Last vieler arbeitsreicher
Jahre schlurft er zu seinem Bett zurück. Dieser abrupte Szenenwechsel wirkt
derart komisch, dass wir in unseren Betten sofort wieder lachen müssen.
Natürlich ist das kein Schreien-vor-Vergnügen, es ist ein unterdrücktes, ein
gurgelndes In-sich-Hineinlachen, bei dem unsere Blicke den eigentlichen Ort des
Geschehens peinlich meiden und allenfalls den Blick des im Bett nebenan
liegenden Nachbarn suchen. Man möchte ja nicht das erste Angriffsziel einer
Attacke werden, vom Himmel gesteuert und von den Schlägen eines gewaltigen
Pilgerstocks unterstützt. Natürlich hat sie, die hehre Frau, etwas gemerkt, ich
sehe es ihrem Gesicht an, dass sie unser Lachen auf sich bezieht und dass sie
wohl auch ahnt, dass das alles auch etwas mit diesem alten Bergbauern zu tun
hat. Aber was könnte das bloß gewesen sein, warum lief der so im Saal herum,
was ist da nur vorgefallen? Schließlich ist sie doch die einzige ordentlich
angezogene Pilgerin unter all diesen profanen Rucksack-Vagabunden. Leicht
irritiert, schreitet sie jetzt nicht mehr, jetzt geht sie in die hinterste Ecke
des Saals zu ihrem Samsonite-Koffer, kramt dort erneut herum und geht wieder
zur Türe hinaus.
Peregrin
aber nickt mir bedeutungsvoll zu, sein Gesicht will sagen: Alles nochmal gut
gegangen, aber beinahe hätte es mich erwischt.
Ein paar
Tage danach erzählten uns die beiden Engländer, dass sie sich später mit
unserer Pilgerkameradin noch unterhalten hätten und dass dies eine „lady aus
Übersee“ gewesen sei, die bei einer Verlosung eine „Pilgerreise“ nach Santiago
gewonnen hatte und im übrigen felsenfest davon überzeugt gewesen sei, dass man
im fernen Santiago nur in ihrem Pilgergewand Gnade vor Jakobus finden würde.
Ich aber
hätte sie so gerne gesehen, wie sie in diesem Aufzug mit dem
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