Auf dem spanischen Jakobsweg
jetzt inkognito den Weg noch einmal
geht. Ich denke mir auch, dass dieser Mann aus Porto Alegre einer ist, den die
Pilger sofort zum Anführer machen würden, müssten sie noch heute durch
Landstriche laufen, in denen es Räuber, Wölfe und Bären gibt.
In der Nähe
des Marientores mit den vielen kurzen Türmchen und den dicken Mauern — der
Stadtrat hat dieses Tor im Jahre 1534 als Wachturm und Stadttor zu Ehren von
Karl V. errichten lassen — trinken wir in einer Bar einen Kaffee und essen alle
möglichen Gebäcksorten dazu, mit Namen, die ich schnell wieder vergessen werde.
Dann gehen wir nochmals in die Kathedrale, aber heute mehr mit den Augen des
Museumsbesuchers denn des Kirchgängers oder Pilgers. Natürlich ist diese
Kathedrale eine Schatztruhe für Kunstinteressierte und eine Fundgrube für
Historiker. Hier stoßen wir auch auf das Grabmal des Cid und seiner Frau Doña
Jimena. Unter der Vierung, zwischen dem Coro und der Capilla Mayor, liegen
unter einer schlichten Grabplatte die sterblichen Überreste dieses legendären
Heroen der Reconquista und seiner tapferen Frau. Auf ihre Spuren werden wir
noch oft stoßen. Natürlich schauen wir uns auch das zur Kathedrale gehörende
Museum und den zweigeschossigen Kreuzgang an. Schließlich laufen wir zur
nahegelegenen Kirche San Nicolás hinüber, wo sich Francisco de Colonia, den wir
schon kennen, mit einem prächtigen Hauptaltar verewigt hat. Aber im
frühgotischen Kreuzgang der ebenfalls nur um die Ecke liegenden Kirche San
Esteban ist es dann endgültig soweit: ich raune
meinem Pilgerbruder zu, dass ich, für heute jedenfalls, keine Portale,
Rippengewölbe, Sarkophage, Spitzbögen, Ziborien, Tabernakel, Retabeln und
Altäre mehr sehen kann und schon gar keine Heiligenfiguren, ich sei kurz davor,
den Heiligen Josef mit der Jungfrau Maria zu verwechseln. Selten im Leben hat
mich ein ähnlich dankbarer Blick getroffen, wie der meines Vetters in diesem
Moment und so schlendern wir locker und für heute von jeglichem Bildungszwang
befreit aus San Esteban hinaus in die schönen und alten Gassen der schönen und
alten Stadt Burgos.
Zwischenzeitlich
ist es Mittag und wieder sehr heiß geworden und so beschließen wir, zum Río
Arlanzón hinunterzulaufen und irgendwo im Schatten seiner großen Bäume ein
kühles Bier zu trinken. Als wir erneut an der Kathedrale vorbeibummeln, kommt
in der für ihn so typischen gedrungenen Haltung, mit seinem überdimensionalen
Pilgerstock in der rechten Hand und einem schwarz-weiß karierten Schweißtuch um
die Stirn, Paolo angeschnauft. Vorhin haben wir noch von ihm gesprochen, und
jetzt ist er wieder aufgetaucht, verschwitzt und unausgeschlafen wirkend, weiß
Gott, wo er sich wieder herumgetrieben hat. Aber die Freude ist natürlich groß,
Umarmung und Lachen und „schön, dass man sich wiedersieht.“ Er will heute in
der Herberge in Burgos übernachten, und wir erklären ihm den Weg dorthin,
„hasta luego“, bis bald. Wie gut, dass man sich mit vielen Brasilianern auf
Spanisch unterhalten kann. Da ihnen das meistens auch nicht flott von der Zunge
geht, sprechen sie langsam und deutlich und so versteht man sie kurioserweise
oft leichter als die Spanier selbst.
Nach unserem
Bier laufen wir kreuz und quer und ohne jeden Plan in der Altstadt herum,
bleiben für kurze Zeit auf der Plaza Mayor sitzen, kaufen Filme und
Ansichtskarten, beobachten die Menschen und freuen uns, dass wir heute keine
Rucksäcke herumschleppen müssen. Eigenartig, ich jedenfalls freue mich auch,
dass es noch heute wieder weitergehen wird, hinaus in die Stille und Einsamkeit
des Camino. Wird man langsam zum Tippelbruder, oder wird die Magie dieses Weges
übermächtig?
Auf unserem
weiteren Bummel stehen wir plötzlich vor Mauern, an denen uns wieder die
Geschichte einholt. Aufmerksam werden wir zunächst durch eine Steintafel, deren
Inschrift darauf hinweist, dass hier die „Katholischen Könige“ Isabella I. von
Kastilien und Ferdinand II. von Aragón Christoph Kolumbus nach seiner zweiten
Amerikareise empfangen haben. Wir stehen folglich vor dem Palacio del Cordón.
Aber hier war in den alten Zeiten noch wesentlich mehr los, als diese kleine
Wandtafel verrät. Karl V, der Enkel von Isabella und Ferdinand und der Sohn von
Johanna der Wahnsinnigen und Philipp dem Schönen — wir haben sie alle schon in
Pamplona kennengelernt — ließ hinter diesen Mauern auch den französischen König
Franz I. antanzen. Auf den war Karl V. nicht sonderlich gut zu
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