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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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Besen geholt. Sie haben uns sogar unterhalten. Sie hatten ja
Zeit: Ihre Eltern waren auf der Hochzeit. Es war wirklich eine große Hochzeit.
Die Braut hieß Nadine Dujour, und man sprach von hundertzwanzig Geladenen,
vielleicht sogar hundertachtzig. Die Jungen da interessierte das nicht.
Übrigens gibt es hier in Charost nie etwas Interessantes für die Jugend. Als
wir anfingen, uns mit unseren Füßen zu beschäftigen, verließen sie uns
unauffällig.
    In den bürgermeisterlichen Aborten
konnte man lesen: »He, Kumpels! Ich bin etwas verärgert. Rückt also Moneten
heraus, sonst renn ich euch den Wanst ein. Überhaupt, ich scheiß auf euch.
Salut, Kerls. Gezeichnet: Der Schreckliche .« Und auf
der Wand gegenüber von derselben Hand: »Ich habe mich amüsiert, so gut ich
konnte, aber ich bin immer noch unglücklich. Gezeichnet: Paul Verlaine .«
    Eine Seite der Mauer liegt immer im
Schatten, so sagt das Lied. Dort ist es, wo sich die Kinder verstecken, um zu
weinen.
     
    Tagebuch Pierre Barret, Samstag, 23. April.
    Bin allein im Waschhaus geblieben,
während Jean-Noel Einkäufe macht. Moral auf Nullpunkt. Trotz der Arzneimittel
habe ich Mühe mit dem Gehen, sogar ohne Schuhe. Ein kalter Wind weht. Es
regnet. Wie soll man auf diesem eiskalten Zement schlafen? Ich fürchte, ich
kann morgen nicht weiter.
    Ich habe den Schieber losgemacht, der
Bach schwemmt jetzt die Wasserlinsen fort, das Wasser wird klar. Ich mache eine
kleine Wäsche und sammle dann Holz unter den Pappeln. Der Zauber der Flammen
und des Wassers verjagt das Gespenst der Mutlosigkeit ein wenig. Ich bin ebenso
durch die Schmerzen wie auch von der Erkenntnis erschüttert, daß ich ohne
dienstlichen Auftrag nicht mehr existiere. Nur Eric und Didier... Ich kann mir
nicht helfen, aber ich meine, wenn alle diese Leute wüßten, wer wir sind, dann
würden sie uns ihre Türen nicht verschließen.
    Ganz bestimmt, die Sache wird viel
härter, als wir dachten. Das ist kein »Experiment« mehr, das ist eine
Herausforderung.
     
    Gemeinsames Wegtagebuch, Dienstag, 26. April.
    Wieder zwei schwere Tage. Regen und
Gegenwind. »Morgenregen zuhauf hält den Pilger nicht auf !« — okay, aber wir haben nicht einmal Zeit, uns zu trocknen.
    Das alte Hospital Saint-Roch in
Issoudun ist zu einem Museum umgewandelt; der einstige Saal für die kranken
Pilger geht direkt auf die Kirche hinaus. Die Büste eines sympathischen
heiligen Jakobus hat uns mit einem steinernen Auge zugezwinkert.
Dann ging es wieder weiter. Trostloser Imbiß in einer Wohnhausbaustelle. Am
Abend haben wir in Etrechet in einem Stall die Streu der zwei Limousiner Kühe
Henriette und Javeline benutzt. Wurst, Sardinen, frisches Stroh, tiefer Schlaf.
Derart dicke Luft, daß sie warm hielt.
    Am anderen Morgen sind wir
übereingekommen, nach zwanzig Kilometern haltzumachen. Da ein Platzregen
drohte, mußten wir von neuem ein Dach suchen, erklären, wir hätten zu essen
dabei und auch Schlafsäcke, würden kein Feuer anlegen und am nächsten Morgen in
aller Frühe weiterwandern.
    Am Eingang eines Dorfes namens Bouesse
— Gott möge es vergessen! — ein winziges Rathaus und zwei gekreuzte Fahnen.
Offene Tür. Wir stecken die Köpfe hinein.
    »Geschlossen !« schreit uns ein griesgrämiger Kerl entgegen, einer von jenen mageren Zwergen,
die so aufgeblasen sind, daß man von ihnen nur noch den Adamsapfel sieht.
    Wir fragen nach dem Bürgermeister.
    »Was wollt ihr vom Bürgermeister ?«
    Nicht viel; nur die Erlaubnis, in einem
Kommunalgebäude zu schlafen, einer Scheune, einem überdachten Schulhof.
    »Die Gemeinde hat nichts .«
    Wir machen uns auf die Suche nach dem
Pfarrer, im Namen der christlichen Nächstenliebe. Der Postbeamte erklärt uns,
daß es in Bouesse keinen Pfarrer gebe, daß die Pfarrer heute wie alles übrige zentralisiert seien. Vielleicht ein wenig weiter auf
der Straße...
    Eine Frau, die aus dem Fenster hängt,
sieht uns und schickt uns zu einem großen Bauernhof. Dort wird uns gesagt, der
Bauer sei auf dem Feld. Der Gemeindesaal ist zwar leer, aber verschlossen, das
Pfarrhaus vermietet. Ein Alter, der gerade beim Ausmisten ist, weiß von einem
Schloß mit Nebengebäuden, in denen man einen ganzen Kreuzzug unterbringen
könne. Aber der Schloßgärtner sieht uns kommen, läuft ans Gitter, schürzt die
Lippen, klammert sich an die Stäbe und zetert wie ein Verrückter: »Privat!
Privat, sag’ ich euch! Das hier ist privat !«
    Wir pendeln von einer Straßenseite zur
anderen, bis wir am

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