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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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Dorfausgang ankommen. Wir müssen wohl oder übel
weitergehen. Einen Kilometer weiter finden wir einen Bauernhof; man nimmt uns
auf, unter der Bedingung freilich, daß wir nicht rauchen. Das ist die alte
Regel: Den Landstreichern nahm man für die Nacht die Streichhölzer weg.
Erleichtert richten wir uns sofort in dem großen Schuppen ein. Das Vieh steht
frei herum. Ein am Vortag geworfenes Kalb läßt seine Mutter nicht in Ruhe.
    Eine Stunde später taucht der blasierte
Kerl vom Gemeindeamt auf und verkündet: »Ich mach’ euch darauf aufmerksam, ihr
seid bei der Gendarmerie gemeldet .« Er rennt mit etwas
zu langen Schritten wieder davon.
    Nur hat er vergessen, genauer
anzugeben: erstens, daß er selber die Gendarmerie von Argenton-sur-Creuse
gerufen hat, zweitens, daß er selber der Bürgermeister von Bouesse ist,
drittens, daß ihm auch jener große Bauernhof gehört und sogar das Schloß, und
viertens, daß er nach seinem Anruf bei den Gendarmen auch mit unserer Bäuerin
telefoniert hat, damit sie uns warne. Was erwartete er? Daß wir uns davonmachen
und er hinter uns herfeuern kann? Die Frau hat abgelehnt.
    Die Gendarmerie hat nicht lange auf
sich warten lassen. Papiere! Funkmeldung an die Kartei des Departements: »Zwei
Individuen... Ich buchstabiere den ersten: Bravo — Alpha — zweimal Romeo — Echo
Tango, geboren am... Der andere heißt Gurgand. Ich buchstabiere: Golf — ...
Nichts in der Kartei? ... Bist du sicher? ... Also dann ... na gut.«
    Später haben uns die Bauersleute mit
den Gendarmen zu einem Glas eingeladen. Damit wir sehen, daß sie zu der ganzen
Sache nichts können. Zwei- oder dreimal hat der Polizeichef erklärt, die
Gendarmerie folge nur ihren Vorschriften und sei verpflichtet, »nachzuprüfen«,
wenn man ihnen die Anwesenheit von »Individuen« melde.
    »Sie müssen verstehen... Heutzutage,
bei diesen Fremdarbeitern, bei dem jugendlichen Bandenwesen, bei der zunehmenden
Kriminalität...«
    Aymeri Picaud erzählt eine ähnliche
Geschichte. Ein ganzes Dorf - ein Armer ausgenommen — hatte sich geweigert,
Pilger zu beherbergen. Das gesamte Dorf brannte nieder, aber wie durch ein
Wunder blieb die Hütte des Armen verschont. Man pries Gott und den heiligen
Herrn Jakob — und Heil dem, der zu hören versteht. Aber Wunder finden nur
einmal statt.
     
    (Meine Damen und Herren, wenn Sie
wüßten... Unsere Pilger hatten glauben wollen, dieses Frankreich da, das
egoistische und hinterhältige Frankreich der Besatzungszeit, das gehöre der
Geschichte an. Im Zeitraum von weniger als vierzehn Tagen werden sie neunmal
»kontrolliert«; mehrmals deswegen, weil die Gendarmerie sich in den Kopf
gesetzt hat, Leute ohne Auto verdächtig zu finden, mehrmals aber auch auf einen
Telefonanruf von Mitbürgern hin, die ihren Durchzug melden...
    »Verstehen«? Sie weigern sich zu
verstehen, ihr Herz ist taub geworden. Aber was haben sie denn geglaubt? Daß es
genüge, mir ihrer Muschel und ihrem freundlichen Gesicht durch die Dörfer zu
ziehen, und schon würden sich ihnen alle Türen der braven Franzosen öffnen? Sie
begegnen nur verschlossenen Gesichtern, Stacheldraht und Gendarmen.
»Ultrei’a!Fremde! Ultreia!«
    In einer Woche haben sie genug Hunde
zum Bellen gereizt, um sich ganz und gar als Zigeuner zu fühlen. Wir sind alle
pilgernde Juden, pilgernde Araber Sie haben geglaubt, diese Ästheten, sie
ließen in ihren Spuren etwas vom Traum und vom Abenteuer zurück, sie, die
Vorbeiziehenden. Wenn man sie jedoch der Gendarmerie meldet, gibt man an, sie
lungerten herum.)
     
    Glücklicherweise sind wir anderntags in
Gargilesse angekommen. Hier haben wir unsere erste Woche als Pilger gefeiert.
Ein stilles, blumengeschmücktes Dorf. Die Erinnerung an George Sand ist überall
spürbar, die Ideen des Bürgermeisters beleben es. Ja, wenn alle Bürgermeister
Ideen hätten... In der Krypta unter der alten Kirche ein Fresko aus dem 12.
Jahrhundert: ein furchterregender Christus, das Feuerschwert der Apokalypse im
Munde. Auf der Seite hinter einem Fliederstrauß eine schlichte Muttergottes aus
Lindenholz, die von armen Leuten aus dem Kreuzzug mitgebracht worden sein soll.
Furcht und Vergebung — ein altes Programm.
    Wir haben uns am anderen Morgen frisch
und munter wieder auf den Weg gemacht. »Es ist gut, seinem Hang zu folgen,
sofern er steigt«, sagte André Gide; sicher hatte er niemals die Steigung
hinter Gargilesse zum Frühstück genossen.
    Dennoch fingen wir an, unser vielfaches
Elend zu meistern oder uns

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