Auf dem Weg nach Santiago
muß dazu herhalten, die
Wallfahrer anzuziehen: Reliquien, Legenden und sogar Werbeslogans, wie man
heute sagen würde, wie etwa der von Oviedo:
Quien va a Santiago
Y no a San Salvador
Scive al criado
Y deja al Señor.
Wer nach Santiago geht
Und nicht zum Erlöser,
Der besucht den Diener
Und läßt den Herrn im Stich.
Herbergswirte, Geldwechsler,
Handwerker, Reiseführer, Priester, Mönche — ein ganzes Volk lebt von diesem
»nahrhaften« Pilgerstrom. Der Verkauf von Muscheln zum Beispiel bedeutet ein so
gutes Einkommen, daß der Erzbischof vom Compostela, Pedro Suãrez de Deza, gegen
Ende des 12. Jahrhunderts versucht, seiner Kirche das Verkaufsmonopol zu
erhalten; die concheros aber begehren auf, und der Prälat muß verhandeln; die
Kirche erhält von hundert Läden achtundzwanzig; die zweiundsiebzig übrigen
verbleiben den concheros für dreißig Jahre, unter der Bedingung
freilich, eine jährliche Abgabe von zwei Maravedís zu zahlen. 24
Die Pilger sind auf ihrem ganzen Weg
allen möglichen Neidern und Ausbeutern ausgesetzt. Grundsätzlich sind sie zwar
durch Verordnungen wie etwa jene, die sie vom Wegzoll befreit, geschützt; in
Wirklichkeit bietet sich den Zöllnern eine zu schöne Gelegenheit, die Leute zu
erpressen. Aymeri Picaud wünscht sie wie die Fährleute zur Hölle:
»In
diesem [baskischen] Land gibt es üble Wegzöllner, nämlich an den Pässen von
Cize, in dem Markflecken Ostabat’, in Saint-Jean und in
Saint-Michel-Pied-de-Port; man sollte sie ohne Umschweife zum Teufel jagen. Da
gehen sie nämlich mit zwei oder drei Stöcken den Pilgern entgegen, um mit
Gewalt eine ungerechte Abgabe zu erzwingen; und wenn sich einer weigert, ihrem
Verlangen nachzugeben und das Geld zu zahlen, schlagen sie ihn und entreißen
ihm die Gebühr, wobei sie ihn beschimpfen und sogar in seinen Hosen
herumkramen. Es sind brutale Leute, und das Land, das sie bewohnen, ist
unwirtlich, sowohl wegen seiner Wälder als auch wegen seiner Wildheit; das
grimmige Aussehen der Bewohner und ihre barbarische Sprache entsetzen die
Herzen derer, die sie sehen. Obwohl sie einen regelmäßigen Tribut nur von den
Kaufleuten fordern dürfen, erpressen sie ungerechterweise von den Pilgern und
allen Reisenden einen Zoll. Wenn es üblich ist, ihnen für irgendeinen
Gegenstand eine Gebühr von vier oder sechs Sous zuzugestehen, nehmen sie einem
acht oder zehn ab, also das Doppelte. Darum bitten wir inständig, daß diese
Wegzöllner und auch der König von Aragonien und die anderen Reichen, denen sie
dieses Geld abliefern, und ebenso alle anderen, die mit ihnen unter einer Decke
stecken, [...] mit all ihrer Nachkommenschaft [...] sowie auch die Priester,
die im Wissen um diese Ungerechtigkeiten für diese Zöllner die heilige Messe
lesen, mit der Exkommunikation belegt werden. [...] Und sollte es vorkommen,
daß ein Prälat, wer er auch sei, aus Wohlwollen oder Interesse ihnen verzeihen
wollte, so soll er dem Bann verfallen .« 25
Dreieinhalb Jahrhunderte später macht
Jean de Tournai seinerseits die Erfahrung der Habgier dieser Wegzolleintreiber;
es ist immer noch das gleiche. Er muß beim Verlassen der Grafschaft Foix für
jede Goldmünze, die er bei sich hat, einen Ardi bezahlen, in Saint-Palais einen
Jacquet pro Goldstück. Er kommt nach Saint-Jean-Pied-de-Port: »Es ist so: Dort,
wo man für jede Goldmünze eine Steuer entrichten muß, erwarten am Ortseingang
den Pilger und Durchreisenden junge Burschen, die ihn am Ärmel packen und in
die Häuser derer zerren, die diese Steuer einziehen. Sie lassen die Pilger und
auch die anderen Durchreisenden und Kaufleute bei ihrer Wallfahrt und ihrem
Anteil am Paradies schwören anzugeben, wie viele Goldstücke sie bei sich tragen.
Wenn man nur um ein Goldstück mogelt und dabei erwischt wird — denn sie haben
durchaus die Absicht, einen durchsuchen zu lassen oder selbst zu durchsuchen —
, dann ist alles Gold und Silber, das man bei sich hat, verloren. Wie oft wurde
ich gedrängt zu schwören; ich habe nie geschworen, habe aber immer gegeben, was
ich schuldete. [...] Das ist ein garstiges Vorgehen, denn auf diese Weise weiß
man, ob jemand Geld hat oder nicht, und auch, wieviel .« 26
Übrigens sind die Tarife zwischen der
Reise des Anonymus aus Florenz im Jahre 1477 und der unseres Jean de Tournai im
Jahre 1488 angestiegen. Zur Zeit des Italieners lag die Steuer bei zwei Ardis
für drei Gulden und bei drei Ardis für die Tiere; der gleiche Tarif galt in
Ostabat
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