Auf dem Weg nach Santiago
aufrecht halten .« In
Pamplona läßt ihn sein Schuhwerk im Stich. Er muß fortan barfuß weiter. 1
Guillaume Manier aus der Pikardie hat
Paris durchquert und zieht jetzt in Richtung Tours. Die Füße schmerzen ihn, und
er kommt nur mit Mühe vorwärts. Seine Gefährten haben nicht mehr auf ihn
gewartet. »Ich konnte nicht mehr gehen. Meine Kameraden waren mehr als zwei
Meilen voraus. Ein Reiter holte mich ein. Da er nicht sehr schnell ritt und
mich so müde sah, nannte er mir ein Heilmittel, womit ich meine Füße härten
könne, nämlich Kerzenruß, mit Schnaps und Olivenöl vermischt; damit müsse man
die Füße einreiben; die Wirkung sei großartig. Meine Kameraden erwarteten mich
mit fünf anderen Pilgern am Ortseingang von Amboise .« 2
Geschichten von Hüten, Schuhen,
Nasenbluten: Es ist die Chronik des Weges, die verborgene Seite des Abenteuers,
der gewöhnliche und schmerzende Anteil des Heldengedichtes. Das liegt
zweifellos in der Natur der Sache. Der Ehrgeiz des Pilgers richtet sich auf das
Jenseits, seine Methode jedoch ist denkbar irdisch. Es geht darum, einen Fuß
vor den anderen zu setzen, noch einmal und noch einmal. Und so schreitet er
weiter, stets neuen Horizonten entgegen, wo die Zeit
schließlich gänzlich schwindet. Von der Natur verhöhnt, von Räubern bedroht,
wehrlos wie ein Maikäfer auf glattem Fels, so schreitet unser Feldmesser der
Ewigkeit seinen Weg mit winzigen Schritten ab. Und gerade darin überschreitet
er alles, was ihm widerfährt. Diese tausend und abertausend Schritte, die nach
Compostela führen, diese tausend- und abertausendmal wiederholten Schritte sind
die Währung des Pilgers. Mit demütigenden Strapazen, mit unbeschreiblichem
Heißhunger, mit banalen Verletzungen bezahlt er das Heil seiner Seele.
Auf der Rückkehr hat man Jean de
Tournai in León ein Paar »große, feste und kräftige« Schuhe angeboten. Er muß
sie aber noch am selben Tag zur Vesperzeit wieder ausziehen »wegen der Nähte
und des Tuches, die rauh und hart waren«. Am nächsten Tag läßt er sich
behandeln und macht sich wieder auf den Weg. Dieser Lebemann versteht zu
leiden. Er erinnert sich schlicht: »Als mein Gefährte meine Füße sah, blieb ihm
der Atem stehen. Diese Wunden trug ich von diesem Tag an bis zu meiner Rückkehr
nach Valenciennes und noch danach .« In Bayonne sind
die Schmerzen so groß, daß er nicht mehr schlafen kann. Also läßt er sich »ein
Paar doppelsohlige Filzpantoffel fertigen und ein Paar ebenfalls doppelsohlige
Schuhe mit Außennähten .« 3
Manier kauft in Burgos für sechs Sols
ein Paar Bastsandalen. Sie halten bis kurz vor León: »Sind nach Limosse
gekommen. Hier war es, hier haben meine Sandalen das Zeitliche gesegnet [...].
Diese Sandalen sind so etwas wie Schuhe aus gedrehten Schnüren mit
durchgeflochtener Sohle und einer Art geflochtenem Netz über dem Rist. Das
trägt sich leicht und ist in diesem Land sehr in Gebrauch .« Er bestätigt, daß er damit »fast hundert Meilen gegangen« ist. In Sarria kauft
er sich für umgerechnet 48 französische Sous ein Paar neue Schuhe, aber »aus
schlechtem Leder«; einer seiner Gefährten treibt die gleichen Schuhe für nur 36
Sous auf. 4
Hermán Künig spricht in seinem
Reisebericht von einem »stetlyn da macht man negel / Die die brüder jn die
schuch schlan«. 5 Im Hospiz von Roncesvalles selbst arbeitet ein
Bruder, der sich auf Leder versteht; er repariert den Wallfahrern ihre
Schnürstiefel und Sandalen. Etwas weiter auf dem Weg stoßen wir auf die
Satzungen der Sankt-Martins-Bruderschaft der Schuster von Astorga; sie
bestimmen, daß die Mitglieder an Festtagen arbeiten können, ohne eine Strafe
gewärtigen zu müssen, wenn sie es für die Pilger tun. 6
Die Qualität der Schuhe wie auch die
der Straßen beeinflußt natürlich die Länge der Tagesstrecken, weniger indes,
als man meinen könnte. Bestimmend wirkt vor allem der dem Weg eigene Rhythmus,
der Abstand zwischen den Raststätten, die unvorhersehbaren Zwischenfälle. Man
kann annehmen, daß der Pilger täglich dreißig bis vierzig Kilometer wandert.
Diejenigen, die einen genauen Führer hinterlassen haben, geben die Entfernungen
in Wegstunden (lieues) an, ausnahmsweise auch in Meilen. In den zum
Gebrauch der Pilger des 17. und des 18. Jahrhunderts veröffentlichten Führern
ist die Wegstunde im Schnitt 4,5 Kilometer lang. Aber der Ungenannte aus
Florenz stellt fest, daß die spanischen Wegstunden gleich drei Meilen sind,
also 5,5 Kilometer, und zwar jenseits
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