Auf dem Weg nach Santiago
Franken privilegierte Siedlungs- und Handelsbedingungen in Navarra und
in Kastilien. Nach den fueros von Jaca, die den Einwanderern bedeutende
wirtschaftliche und rechtliche Garantien bieten, entstehen die fueros von Estella, Logroño, Pamplona und so weiter.
Die Franken können ungehindert Häuser
erwerben und verkaufen. Man sichert ihnen den Frieden, gewährt ihnen eigene
Märkte, selbständige Ortsviertel, man schützt sie gegen Maß- und
Gewichtfälscher. Sie sind Messerschmiede, Metzger, Gerber, Kürschner. Das Libro
de fueros meldet 1366 in Pamplona noch elf Straßen und
vierhundertdreiundvierzig Familien von Franken im Stadtviertel San Saturnino
und im Viertel San Nicolás ein Dutzend Straßen und dreihundertfünfzig Familien. 16 Diese fränkischen Siedler von Pamplona sind vom Militärdienst befreit und
erfreuen sich eines wahren Handelsmonopols auf dem Markt von San Saturnino; sie
allein haben die Erlaubnis, an die Santiagopilger zu verkaufen; jedem anderen
ist es untersagt, sich in ihren Stadtvierteln niederzulassen; ihr Bürgermeister
wird vom Bischof unter drei von den Bürgern vorgeschlagenen Kandidaten gewählt. 17
Das im Jahre 1094 von König Sancho
Ramírez gegründete Estella ist noch im 14. Jahrhundert so fränkisch, daß seine
Verordnungen immer noch in provenzalischem Dialekt abgefaßt sind; seine aus der
Normandie, der Touraine, dem Poitou, dem Limousin, aus Toulouse und der Provence
stammenden Einwohner nennen sich Roger, Robert, Pons, Guilhem, Renaud,
Stéphane; ihre Andacht gilt Sankt Martin, Unserer Lieben Frau von Le Puy,
Unserer Lieben Frau von Rocamadour... 18
Die neuentstandenen Marktflecken am camino
francés zählen unter ihren Einwohnern auch Deutsche, Engländer, Katalanen
und Lombarden; sie lassen sich als Kaufleute und Bürger nieder, was nicht immer
ohne Verletzung der Interessen der örtlichen Einrichtungen abgeht. Als zum
Beispiel König Sancho am camino ein neues Viertel anlegen will, um
Estella zu vergrößern, erheben die Mönche von San Juan de la Peña Widerspruch.
Sie wollen, daß sich die neue Siedlung auf ihrer Domäne von Zarapuz entwickelt,
die weniger gut gelegen ist. Sancho lehnt ab, muß aber den Mönchen den Zehnten
aller Einnahmen, die er von der neuen Bevölkerung bekommt, überlassen.
Die Spanier sind oft Soldaten oder
Bauern geblieben und lieben die Franken gar nicht besonders; sie klagen sie an,
geistlichen Handel und Warenhandel miteinander zu verwechseln. Feindliche,
nationalistische Gedichte kursieren, sogar ein Lied im Anti-Roland-Stil, in dem
ein neuer Held, Bernardo, als Sieger von Roncesvalles gefeiert wird. 19 Solche Lieder und Gedichte bezeichnen die Normannen als hochmütig, die
Engländer als ängstlich, die Lombarden als geldgierig und die Deutschen als
unbotmäßig. 20
Eine recht verständliche Antipathie!
Der neue Wind des Großhandels fegt plötzlich eine arme bäuerliche Wirtschaft
hinweg, stürzt die örtlichen Gegebenheiten über den Haufen, bringt die
Gebräuche durcheinander und verwirrt die Leute. Von nun an besitzen alle Städte
am camino ihren Wochenmarkt. Die Pilgerstraße führt galicische Kaufleute
bis zu den Märkten der Champagne hinauf; unterwegs verkaufen sie Wolle, Häute,
Getreide aus Kastilien, Maultiere, Pferde aus berühmter Zucht und bringen Tuche
mit nach Hause. Gewisse Wallfahrer beladen sich mit Fabrikationsmustern der
Messerschmiede von Thiers oder der Tuchfabrikanten des Poitou ; 21 sie sind richtige Handelsreisende.
Aber der »Rohstoff«, die anscheinend
unerschöpfliche Fundgrube, bleibt die Wallfahrt. Die Klöster machen sich
gegenseitig das Herbergsrecht hochstehender Pilger streitig, von denen sie
reichliche fromme Gaben zu erlangen hoffen, schlagen sich aber ebenso darum,
die Armen aufzunehmen: Die Einrichtung eines Pilgerhospizes oder eines
Hospitals ist finanziell üppig gedeckt durch die Schenkungen, die sie anregt.
Im Jahre 1118 protestieren die Mönche von Villafranca gegen eine benachbarte
Herberge, die »ungerechterweise ihre eigenen Herbergsrechte an sich reißt«. In
Sahagún streiten sich im Jahre 1227 Mönche und Bürger um die Verwaltung des
Hospizes. Alfons IX. gewährt Santa Maria de Obona das ausschließliche
Herbergsrecht für die Pilger auf dem Wegabschnitt, der in der Nähe des
Pilgerhauses der Ortschaft vorbeiläuft. 22 Manchmal endet die Sache
bös. In Frankreich führen die Bootsleute von Soulac und Taleys blutige Fehden
um das Recht, die Pilger über die Gironde überzusetzen. 23
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