Auf dem Weg nach Santiago
von Navarra. 7 Bonnault
d’Houët, der Verleger des Reiseberichts von Manier, dehnt diese Schätzung auf
ganz Spanien aus. Am 3. Januar 148 9 wandern Jean de Tournai und seine
Gefährten in den Landes »sieben lieues, die sehr wohl zehn sein können«;
er erklärt, daß, »wenn man fragt, wie viele lieues es von hier oder dort
seien, man statt lieue leghe sagt, und sieben von diesen sind sehr wohl
zehn lieues in unserem Land«. 8 Eine andere fragwürdige
Angabe: Ein Text aus der Auvergne aus dem 18. Jahrhundertbestimmt die. lieue als die Entfernung, die »man mit dem Pferd in fünf Viertelstunden reitet«. 9
Von Burgos bis León sind es ungefähr
zweihundert Kilometer Wegs; der Itinéraire des chansons gibt 54 lieues an; La Nouvelle Guide spricht von 37 lieues -, Nompart de Caumont
rechnet 36 lieues, und Guillaume Manier mit seinen Sandalen an den Füßen
zählt »fast hundert lieues«. Das kommt daher, daß die Wegstunde auch
entsprechend der Verfassung des Wanderers, seiner Müdigkeit und den
topographischen Gegebenheiten variiert. Jean de Tournai ist ein so tüchtiger
Wanderer, daß bei León ein deutscher Gefährte darauf verzichtet, ihm zu folgen.
Für gewöhnlich geht Jean seine sieben bis zehn Wegstunden am Tag; einmal
schafft er elf, um Sarria zu erreichen; das war aber »ein zu schwerer Tag, und
[...] wir waren völlig erledigt und genötigt, uns in einem Dorf ins erstbeste
Haus zu begeben«. Auf seinem Rückweg will er so schnell wie möglich Paris
erreichen; in zwei Tagen marschiert er von Cormery bis Blois und von Blois bis
Orléans, das sind jedesmal siebzehn lieues (ungefähr siebzig Kilometer);
»zu großer Tagesmarsch«, kommentiert er, übertreibt dabei freilich jedesmal um
etwa zehn Kilometer. Die Wegstunde aber, die ihn am meisten beeindruckt hat,
bleibt jene fünfte lieue beim Aufstieg hinter Saint-Jean-Pied-de-Port,
so hart und steil, daß es zum Staunen ist. 10
Bonnecaze und seine Freunde haben nach
Verlassen ihres Dorfes am ersten Tag zwölf Wegstunden geschafft, das sind
ungefähr fünfzig Kilometer. Guillaume Manier geht im Durchschnitt zwanzig bis
dreißig Kilometer am Tag. Am wenigsten ist Domenico Laffi in Eile: zwölf bis
fünfzehn Kilometer täglich, falls seine angegebenen drei Wegstunden gewöhnliche
Wegstunden sind.
Aymeri Picaud gibt zwischen den
Pyrenäen und Compostela dreizehn Tagesetappen an (»zwei davon muß man zu Pferd
machen«, nämlich 74 beziehungsweise 89 Kilometer!); natürlich darf man seine
Angaben nicht wörtlich nehmen. Pilger, die täglich fünfzig bis siebzig Kilometer
marschieren können, sind selten, auch wenn sie gut eingeübt und abgehärtet
sind.
Die normale Tagesstrecke für einen
berittenen Boten sind sechzig Kilometer. Das ist auch annähernd die
durchschnittliche Leistung einer berittenen Gruppe aus Lüttich, die Reliquien
aus Compostela in die wallonische Heimat zurückbringt: 36 Tage im Sattel.
Hugo, jener uns schon bekannte
Erzbischof von Lyon, der im Jahre 1095 unter Verdacht stand, auf Wallfahrt zu
gehen, um dem Konzil auszuweichen, legt täglich etwa vierzig Kilometer zurück.
Vier Jahrhunderte später hält Nompart de Caumont das gleiche Tempo vor.
Jean Rouède, ein wohlhabender Kaufmann
aus Vic-Fezensac, schafft im Jahre 1451 den Hin- und Rückweg in weniger als
zweieinhalb Monaten. 11 Ein Jahrhundert später bleibt ein gewisser
François Morel, ein Notar aus Avignon, drei Monate unterwegs; auch er macht
seine dreißig Kilometer täglich. 12 Erwähnt sei, daß man über das
Marschtempo der auf Pferden oder Maultieren Reitenden so gut wie nichts weiß;
es handelte sich meist um Männer der Kirche.
Der Großteil der Santiagopilger geht
jedenfalls zu Fuß — zuweilen leiht ihnen ein berittener Pilger sein Pferd oder
sein Maultier für eine Tagesstrecke oder einen Teil davon, wobei er dann selbst
zum Zeichen der Buße daneben einhergeht. Ohne Zweifel entspricht das Gehen
durch Schlamm und Straßenstaub, inmitten einer vertrauten Gruppe, etwa im Takt
eines gemeinsam gesungenen Psalms oder eines Volksliedes, besser dem
Gemeinschaftsgeist. Im Mittelalter schließen sich die Pilger nicht bloß aus Gründen
der Sicherheit oder zur Abwechslung zusammen. Es scheint vielmehr, daß damals
die Gemeinschaft stärker war als das Individuum. Man singt etwa:
Quand nous vînmes au pont qui tremble
Nous étions bien trente ensemble
Tant de Wallons que d’Allemands. 13
Als wir auf die schwankende Brücke
kamen,
Waren wir wohl unser
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