Auf dem Weg nach Santiago
Gesetzgebung Kastiliens sieht vor,
daß die Bürgermeister und die Richter allen Schaden, den sie einem Pilger
zugefügt haben, schnellstens wiedergutmachen sollen, damit dieser seine
Wallfahrt ohne Verzug fortsetzen kann. Bei Nichteinhaltung dieser Vorschrift
sind die Bürgermeister und Richter dazu verurteilt, dem Pilger »doppelten
Schadenersatz und die Ausgaben« zu zahlen.
Das erste Privileg des Pilgers ist die
Befreiung vom Wegegeld; er braucht auch für die Tiere und die Sachen, die er
bei sich hat, keinerlei Abgabe zu entrichten. »Man soll wissen: Diese Zöllner
dürfen auf keine Weise von irgendeinem Pilger einen Zoll eintreiben .« 8 So ruft Aymeri Picaud in Erinnerung. Er regt
sich jedesmal auf, wenn ihn die Basken und die Navarresen zu ungerechten
Abgaben zwingen. Zwei Jahrhunderte später scheint man die Regelung immer noch
nicht besser einzuhalten; ein in Estella am 3. August 1360 für Aymeri aus
Narbonne und Thibaud aus Verona, beide auf dem Weg nach Compostela,
ausgestellter Geleitbrief befiehlt »streng [...], daß die genannten Adeligen
oder der Träger der vorliegenden Schreiben selbst sowie jene, die sie
begleiten, mit ihren Gold- und Silbermünzen und allen ihren anderen Gütern
[...] in Sicherheit durch das genannte Königreich reisen dürfen, ohne einen
Zoll oder eine andere gebräuchliche Abgabe entrichten zu müssen.« 9 Mit anderen Worten: Das gilt nicht für jedermann.
Doch der Schutz des Pilgers bleibt die
Regel. Solange die Wallfahrt dauert, gilt seine Person als unantastbar, wie
auch die Güter, die er zu Hause zurückläßt. So sieht das Gewohnheitsrecht von
Navarra eine Sicherheit von einem Monat für die Reise nach Compostela und von
einem Jahr und einem Tag für die nach Jerusalem vor. Auf diese Tradition stützt
sich die Kirche, als sie dieses Privileg auf die Kreuzfahrer ausdehnt, die den
Pilgern zugerechnet werden und deren Güter während der ganzen Zeit ihrer
Abwesenheit unter Rechtsschutz stehen.
Das kastilische Gewohnheitsrecht gibt
sogar an, daß das Ehrenwort des Pilgers während seiner Wallfahrt unanfechtbar
sei; und wenn er »im Namen seiner Reise« schwört, ist sein Zeugnis gültig. Als
Gegenleistung erwartet man von ihm, daß »er seine Wallfahrt mit großer
Frömmigkeit vollbringe, Gutes sage und tue und sich vor dem Bösen hüte«; er
soll auch keinen Handel treiben. 10
Im Jahre 1095 untersagt der Schwager
des Königs von Kastilien und Statthalter von Galicien, Raimund von Burgund, den
Händlern von Compostela jegliche direkte Pfändung, ohne vorher einen von Zeugen
gestützten Antrag an den Bischof und den Rat gerichtet zu haben. Bischof
Gelmirez erläßt ein Dekret, um »die Armen zu schützen«; er bestätigt das Verbot
der Pfändung bei Kaufleuten und Pilgern »unter Strafe doppelter Rückerstattung
des eingezogenen Gutes, unter Androhung auch der Exkommunikation mit der
Auflage, dem Landesherrn eine Geldstrafe von sechzig Sueldos zu entrichten«. 11
1123 exkommuniziert das I.
Laterankonzil alle jene, die einen Pilger bestohlen haben .
In Navarra verordnet das Gewohnheitsrecht, daß die Diebstahlfälle auf dem camino
francés dem königlichen Gericht unterstehen sollen, was besonders harte
Strafen bedeutet. 1336 wird zu Estella ein gewisser Miguel aus Tarazona
gehängt, weil er auf dem Pilgerweg nach Santiago einen Mann getötet hat; ein
Jahr zuvor hat aber ein gewisser Sancho aus Latsalde de Garde dasselbe Los
wegen eines einfachen Diebstahls erlitten. 12 Das kastilische
Gewohnheitsrecht führt als Beispiel das Urteil über einen gewissen Andrés an;
angeklagt, einem Pilger Geld gestohlen zu haben, gesteht er, auf Anstiften
seines Bruders Don Esteban, Abt von San Pedro, gehandelt zu haben. Zu Beginn
des 13. Jahrhunderts macht man kurzen Prozeß: Andrés wird gehängt, und Bischof
Mauricio entzieht Don Esteban Ämter und Pfründen und verurteilt ihn überdies zu
zwei Wallfahrten nach Rom (vier Jahre später wird ihm vergeben). 13
Domingo Ferrandiz und seine Frau Maria
werden angeklagt, in das Getränk der Pilger Schlafmittel gemischt zu haben, um
sie bestehlen zu können; sie fliehen. Der Vogt von Roncesvalles, Arnaut de
Alzu, jagt mit etwa zwanzig Mann hinter ihnen her und stöbert sie in einem
Gehölz auf. Domingo wird gehängt, seine Frau verbringt dreißig Tage im
Gefängnis und wird dann freigelassen, »weil ihr Ehemann sie von den genannten
Verbrechen entlastet hatte«. 14 Im Jahre 1330 läßt der Vogt von
Estella einen Engländer hängen, denn auch
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