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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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ein Kranker da ist, erbittet er dessen Portion gesondert,
damit er seinem Zustand entsprechend behandelt wird; und er vergißt nicht, den
schwangeren Pilgerinnen ihren Bedürfnissen gemäß beizustehen«. 38
    Hundert Jahre später, gegen Ende des
17. Jahrhunderts, werden dem Pförtner derselben Herberge von Bordeaux, in der
Manier und seine Gefährten bald auftauchen werden, neue Richtlinien erteilt:
    »Er trägt Sorge dafür, die Pilger, die
nach Santiago ziehen, und zwar sowohl die Gesunden als auch die Kranken, gut
aufzunehmen. [...] Er geht seiner Aufgabe in einem Raum in der Nähe der
Eingangstür nach, von wo aus er leicht die Glocke hören und sofort sehen kann,
wer läutet.
    Die Pilger, die nach Santiago gehen,
müssen ein Beglaubigungsschreiben ihres Ortspfarrers vorzeigen, das ihre
Frömmigkeit bezeugt, die sie zu dieser Wallfahrt antrieb. Der Pförtner muß das
genannte Schreiben oben in der Mitte bis zum Geschriebenen einreißen.
    Die von Santiago herkommen, müssen
ihren Beichtzettel vorweisen, und er muß den genannten Zettel an der linken
Seite einreißen.
    Klerikern auf dem Jakobsweg soll er
eine Ration Weißbrot und eine Flasche von unserem Wein geben, den anderen ein
Pfund Schwarzbrot und eine Flasche von dem für sie bestimmten Wein.
    Die Pilger, die krank ankommen, schickt
er ins Spital und trägt in christlicher Liebe Sorge für sie; auch kümmert er
sich darum, daß der Priester, der sie zu besuchen und ihnen die Sakramente zu
spenden hat, benachrichtigt werde. [...]
    Er schreibt täglich die Anzahl der
Pilger, die sich nach Santiago begeben, in ein dafür bestimmtes Buch ein.
    Er notiert alle Pilger, die ankommen,
wobei er genau den Tag ihrer Ankunft, [...] ihren Namen, ihren Beinamen, ihren
Herkunftsort und den Tag ihrer Abreise einträgt .« 38
    Im San-Marcos-Hospital in León werden
die Namen der Neuankömmlinge von einem Pförtnerbruder registriert, der außer
Latein möglichst eine oder zwei Fremdsprachen kennt, beispielsweise Französisch
und Flämisch.
    Auf dem Höhepunkt der Wallfahrt, im 11.
und im 12. Jahrhundert also, sind Bettenzahl und Buchhaltung zweifellos weniger
von Bedeutung als die Art des Empfangs selbst. Diese Pilger auf dem Weg zu
Gott, diese Männer und Frauen, die Schritt für Schritt ihr Heil erfüllen, aber
auch der schlichte und glühende Glaube der Zeit gebieten, sie auf die innigste
und einfachste Weise aufzunehmen, mit einer jener erschütternden Gesten, wie
sie nur die Liebe erfindet. Darum gehört zum Ritual des Empfangs die
Fußwaschung — so hatten Abraham und Lot die Füße der pilgernden Engel
gewaschen; Maria Magdalena, die Sünderin, wusch Christus die Füße und trocknete
sie mit ihren Haaren; Christus selbst legte am Vorabend seines Leidens sein
Obergewand ab, gürtete sich mit einem Tuch wie der dienende Sklave, füllte
Wasser in eine Schüssel und wusch die Füße seiner Jünger und sogar die des
Petrus, der das doch gar nicht wollte: »Du, Herr, willst mir die Füße waschen?«
(Joh 13,6). Und die Schrift fährt fort:
    »Als er ihnen die Füße gewaschen, sein
Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift
ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr, und ihr nennt
mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch
die Füße gewaschen habe, dann müßt auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe
euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt
habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein
Herr, und der Abgesandte nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Selig seid
ihr, wenn ihr das wißt und danach handelt. [...] Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch: Wer einen aufnimmt, den ich sende, nimmt mich auf; wer aber mich
aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat« (Joh 13,12-20).
    Mit der tiefen Demut dessen, der Gott
in all sein Tun verflicht , waschen die Brüder und
Schwestern der Herbergen diese schmutzigen, müden und wunden Füße der Compostelapilger.
Die Regel von Aubrac gibt an, daß es mit warmem Wasser geschehen soll. Es ist
im höchsten Sinne die Tat des Empfangs, das Symbol der mitmenschlichen Liebe.
    Man erzählt, daß der Graf Pons de
Minerve von den Mauren gefangengenommen worden war. Seine allein
zurückgebliebene Frau beschließt, im Hospital zu Órbigo armen Pilgern zu
dienen. Eines Tages wäscht sie wieder, lange Zeit nach dem Verlust ihres
Gemahls, wie gewöhnlich kniend die Füße eines

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