Auf dem Weg nach Santiago
Saint-Jacques in Châlons-sur-Marne, wo ein Text aus dem
Jahre 1497 darlegt, der Sieche solle hier nach seiner Aufnahme »sich gut und
bescheiden [...] aufführen, wie es einem Aussätzigen geziemt. [...] Er soll
nicht den Hof verlassen und auf die Straße hinausgehen; [...] und wenn er mit
einem anderen spricht, soll er sich gegen den Wind stellen und Abstand halten
[...]; er soll die Jakobuskapelle nicht betreten [...], sonst wird ihm seine
Tagesration entzogen .« 39
In den meisten Herbergen jedoch, wie
etwa im Hospital-Priorat von Poymartet an der Grenze der Landes, begnügt man
sich damit, »die armen Bettler« aufzunehmen, »die unfähig sind, sich den
Lebensunterhalt zu verdienen, mit Ausnahme der Lepra- und Pestkranken;
vorzüglich sollen die Pilger, die nach Santiago in Galicien wandern oder von
dort zurückkommen, Aufnahme finden«.
In den Herbergen von Oviedo und
Santiago untersucht man die Pilger am Abend nackt, um die mit Krätze Behafteten
zu isolieren. Im Jahre 1590 verbietet in Compostela eine Verordnung den
Pestkranken den Zugang zu den Hospitälern, auch den an Lepra, Typhus oder
Krätze Leidenden. Im Falle einer Pest werden die Brücken gesperrt und die
Stadttore geschlossen.
Am häufigsten müssen Erschöpfung,
Fußleiden, verschiedene Fieberzustände und das »Bauchreißen« behandelt werden;
die »Phlegmatiker« sind an ihrer bleichen Hautfarbe erkennbar, an ihrem
unwiderstehlichen Schlafbedürfnis und ihrem häufigen Spucken wie bei den
Lungenkranken.
Gegen die Müdigkeit verschreibt man ein
sehr warmes Bad, Abreiben mit brennendheißen Aufgüssen aus Stechwinde,
Brombeerstrauch- und Lindenblättern. Für die Füße besitzt jede Herberge ihre
eigene Salbe, so etwa das Hospiz von Niort jenen Pilgerbalsam auf der Grundlage
von Kollodium und Weidenrinde; er ist gut gegen Hornhaut, Warzen, Schwielen und
Hühneraugen. 40 Gegen Atembeschwerden wird Pfefferminztee mit Honig
verabreicht, verbunden mit Breiumschlägen; Gurkenkrauttee oder ein Aufguß aus
wilden Stiefmütterchen hilft gegen Verschleimung der Bronchien; gegen Seitenstechen
werden trockene Schröpfköpfe angewandt. Man züchtet die Heilpflanzen im
Kräutergarten: gegen jedes Übel ein Kraut. Der arme Bonnecaze macht damit eine
bittere Erfahrung:
»[Das Fieber] setzte jeden Tag zur
selben Stunde ein; wir konnten nicht mehr weiter; doch kamen wir noch bis
Silheiro, einem kleinen Seehafen; wir betraten die Herberge, ein erbärmliches
Haus. Die Gastwirtin sagte mir, sie würde mich von dem Fieber befreien, wenn
ich ein Heilmittel aushalten wollte. Ich hatte Eile, so bald als möglich León
zu erreichen, also sagte ich zu. [...] Sie holte einen großen Strauß
Brennesseln herein. Dann zog sie mir das Hemd hoch, legte mich bäuchlings auf
das Bett und peitschte mit den Nesseln meine Lenden ganz großartig durch. Ich
litt zum Erbarmen. Anschließend zog sie mir wieder das Hemd herunter und
bedeckte mich so reichlich mit Decken, daß ich von morgens sechs oder sieben
Uhr bis nachmittags um drei so etwa acht bis zehn Hemden durchschwitzte. Sie
zog dann die Decken weg und beendete damit meine Schwitzkur. Am anderen Morgen
war das Fieber verschwunden. Mein Kamerad war Zeuge meiner Leiden gewesen; er
wollte nicht auch mit Brennesseln gegeißelt werden, sondern lieber das Fieber
aushalten .« 41
Die am häufigsten angewandten
Heilprozeduren sind Aderlaß, Abführmittel und Waschungen. Andere sind eher
Sonderpraktiken, wie etwa die Verabreichung von Kügelchen aus Spinnweben gegen
Blutspucken 42 oder Schlangenbouillon zur Blutreinigung. »Nehmt ein
mageres Hühnchen«, so wird verschrieben, »Pimpernell, Zichorie, Kerbel und
Lattich, von jedem eine Handvoll. Gut schälen, waschen und kleinhacken. Dazu
eine lebend gehäutete Viper, die in Stücke geschnitten wird, nachdem man ihr
den Kopf und den Schwanz abgeschnitten und die Eingeweide herausgenommen hat;
man behält nur das Fleisch, das Herz und die Leber. Das Ganze in drei Schoppen
Wasser zum Kochen bringen, bis es auf drei halbe Schoppen eingegangen ist. Vom
Feuer nehmen, durchseihen und auf zwei Bouillons aufteilen, von denen je eine
jeden Morgen nüchtern eingenommen wird. Man wendet dieses Heilmittel vierzehn
Tage lang an, wobei man vorher und nachher ein Abführmittel nimmt. An Stelle
von erfrischenden Kräutern verabreicht man ein halbes Gros gemischter Schweizer
Wundkräuter, wenn das Blut kräftiger gereinigt werden soll. [...] Um diese
Bouillons wirksamer zu machen, bereitet man sie im
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