Auf dem Weg nach Santiago
beschwipst .« 34
Der Pilger ist kein Asket. Essen ist
eine gute Sache und notwendig zur Fortsetzung des Unternehmens; jede Mahlzeit
ist recht und darf eingenommen werden, ohne Hintergedanken oder Gewissensbisse.
In Puertomarin genießt Laffi am Ufer des großen Flusses Miño »Aal und
vorzügliche, großartige Forellen«. In Badia Castelia bei Chivasso — noch in
Italien — haben er und sein Freund, der Maler, das Viertel eines gebratenen
Hammels verschlungen zusammen mit »einem guten Muskateller zu vier Sous der
Krug, den sie einen Schoppen nennen«. 35
Jean de Tournai ist bei Tisch nie der
Letzte, und jede Gelegenheit, die eine Mahlzeit rechtfertigt, ist ihm
willkommen. Am Sonntag vor Lichtmeß liest Sire Guillaume die Messe, und der
Ortspfarrer schenkt ihnen — in naturalibus — die Opfergaben der Gläubigen: »Ich
hatte einen gewaltigen Hunger. [...] Unser Wirt und unsere Wirtin sowie einige
Nachbarn, die in der Messe gewesen waren, hatten den Tisch gedeckt. [...] Es
wurde ein prächtiges Essen. Wir legten alles, was man uns geschenkt hatte, auf
den Tisch; wir tranken einen hervorragenden Wein und aßen ausgezeichnete Würste .« Bei der Ankunft in Burgos gönnen sie sich in einer
Schenke ein reichhaltiges Mahl, weil drei der Gefährten, die aus der Auvergne
stammen, über Roncesvalles nach Hause zurückwandern müssen, »während unser Weg
über das San-Adrián-Gebirge führte«. Man feiert das Wiedersehen ebenso, wie man
den Abschied beweint. In Bayonne begegnet Jean de Tournai auf seinem Rückweg
einem Ritter, den er in Santiago getroffen hatte: »Wir feierten das Wiedersehen
[mit diesem Ritter] und wurden auf französische Art bedient, denn wenn wir
getrunken hatten, schüttete man das, was im Glas übrigblieb, in ein Gefäß, dann
reinigte man unser Glas und schenkte uns neuen Wein ein.« In Blaye, wohin ihnen
der Ritter vorausgezogen war, fanden sie »ein fertig zubereitetes Abendessen
und schmackhafte Kapaune«.
Unglücklicherweise findet Jean de Tournai nicht überall Hostellerien, Wirtshäuser und Ritter vor. Eines
Tages kommen beide, Sire Guillaume und Jean, durch Villafranca del Bierzo, um
im nächsten Dorf zu übernachten. Eine kohlrabenschwarze Nacht bricht herein,
»daß man nicht die Hand vor den Augen sehen konnte«, würde Manier sagen. Nach
ihrer Ankunft im Dorf müssen sie lange nach einer Unterkunft suchen. Sie
möchten Brot, Wein und Fisch kaufen und bitten darum. Sie bekommen zur Antwort,
daß es nichts gebe. »Trotzdem flehten wir so inständig und sprachen so gut —
wir hatten nämlich einen schrecklichen Hunger — , daß
unser Wirt uns etwas servierte, herzlich wenig freilich: weniger als ein halbes
Lot Wein, ein Brot zu zwei Deniers und vier oder fünf Zwiebeln; und so mußten
wir die Nacht geduldig durchstehen.« 36
Um Jean de Tournai zu verstehen, muß
man es wie er erlebt haben, wie sich die Aussichten auf einen angenehmen
Empfang eine nach der anderen ins Nichts verflüchtigen. Das Dorf ist weiter
weg, als man glaubt, kein Wirtshaus, keine Herberge weit und breit. Die Nacht
ist bereits hereingesunken. Müdigkeit, Hunger und Kälte greifen an.
Verschlossene Türen, abweisende Stimmen. Wer ist er denn eigentlich, der
Pilger?
»Eines Abends«, so erzählt Bonnecaze,
»es war in Neukastilien, fanden wir überhaupt keine Unterkunft. Wir waren bis
auf die Haut naß. Wir mußten uns mit einer feuchten und schlammigen Baracke
zufriedengeben. Jeder von uns zahlte drei Sols für ein Weidengeflecht, das wir
zum Schlafen auf den aufgeweichten Boden breiteten. Ich fröstle noch heute,
wenn ich mich an die Kälte erinnere, die ich in jener Nacht litt .« 37
Trotzdem hat Laffi Worte des Lobes für
die Gastlichkeit und Nächstenliebe der Spanier. Das Verhalten gewisser Leute
darf nicht die große Hilfe der meisten Anwohner vergessen lassen. Es hat den
Anschein, als verbände eine Art brüderlichen Beistands die Wanderer mit jenen,
die sie vorbeiziehen sehen. Ohne diese Bruderliebe hätte die Wallfahrt sicher
niemals einen solchen Aufschwung nehmen, einen solchen Eifer entflammen können.
Die Bruderliebe ist eines der
Schlüsselworte der christlichen Religion. Sie heiligt den, der um sie bittet,
wie den, der sie gewährt. »Ich war durstig, und du hast mir nicht zu trinken
gegeben !« Zur Berufung des Pilgers gehört die Bitte um
Almosen. Das Betteln ist wegen der Demut, die es in sich schließt, eine Form
des Gebetes. Ein altes, im Baskenland aufgefundenes Dokument gibt
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