Auf den ersten Blick
Vielleicht hätte ich ihr dabei geholfen, einen besseren Preis für einen gebrauchten Golf auszuhandeln.
Denn zum zweiten Mal in zwei Tagen fühlte es sich wie ein Anfang an. Und zum zweiten Mal in zwei Tagen hatte es nicht angefangen.
»Warum?«, sagte Dev. »Warum warum warum?«
Er hatte seine Polo-Cockta ausgetrunken und warf sie in den Müll. Dann machte er die nächste auf.
»Was ist das eigentlich?«, fragte ich.
»Du hast noch nie eine Polo-Cockta getrunken? Die sind super. Ein bisschen wie Coke, nur metallischer.«
Er nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Ich dachte über seine Frage nach.
Warum?
Warum hatte ich nichts getan, nichts gesagt? Denn jetzt kommt der Hammer. Als sie ins Taxi stieg – diesmal ohne fremde Hilfe –, hatte sie mich bemerkt. Ich war mir ganz sicher. Zwar eher unwillkürlich, aber immerhin. Eine denk bar knappe Reaktion, ein winziger Splitter von irgendwas. Ein fragender Blick, ein klitzekleines Naserümpfen, irgendetwas, das mir sagte, dass ich ihr irgendwie bekannt vorkam. Ein flüchtiges Zögern, nicht mehr, und dann ins Taxi, Tür zu, weg.
»Oder …«, sagte Dev. »Vielleicht hat sie dich angesehen, weil du ein Mann warst, der regungslos dastand, im Dunkeln, und sie anstarrte, mit einer Hand in der Jackentasche.«
Vielleicht.
Wie auch immer. Zumindest sah ich aus wie ein Auftragskiller.
»Und dieses Ding, diese …«
» 35 -mm-Einwegkamera« , sagte ich und drehte und wendete sie.
»Ja … was hast du damit vor? Dich auf der Charlotte Street rumtreiben, in der Hoffnung, dass sie wiederauftaucht, damit du ihr das Ding zurückgeben kannst?«
»Zweimal innerhalb von zwei Tagen habe ich sie auf der Charlotte Street gesehen. Beide Male in der Nähe von Snappy Snaps – einmal sogar drinnen. Offensichtlich hat sie was mit Fotos zu tun.«
»Oder vielleicht werden ihr ständig die Fotoapparate geklaut. Wer benutzt denn heutzutage Wegwerfkameras? Das klingt mir ganz nach einer ziemlich schrägen Braut. Und was willst du jetzt machen?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Nichts.«
» Nichts? Komm schon …«
»Was kann ich denn schon tun? Und was soll das eigentlich heißen: ›Was willst du jetzt machen?‹ Inwiefern machen? «
Dev nahm einen Schluck von seiner Polo-Cockta und sah mich nur an.
»In der Charlotte Street gibt es ein paar gute Pubs«, sagte er.
Noch am selben Nachmittag ratterte ich meine Abrizzi’s-Kritik herunter.
»Ein magisches Stück vom Pizzahimmel«, schrieb ich, und dann noch ein paar andere Schmeicheleien, zum Beispiel, dass ich genau die richtige Menge Brot bekommen hatte und die Kellner wirklich vorbildlich waren. Na ja, jetzt kannten sie meinen Namen. Das ist das Problem, wenn man so heißt wie eine Ikone der frühen Neunziger. Die Leute erinnern sich an einen. Da haben sie was zu erzählen, wenn ihnen langweilig wird. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einem Schuhgeschäft und haben jemandem namens Shaquille O’Neill ein Paar Birkenstock-Sandalen verkauft. Das würden Sie jedem erzählen.
Außerdem würde Herman sich daran erinnern, dass ich weggelaufen war, ohne meinen Apfelsaft zu bezahlen, und dass ich keine ihrer Pizzen aus der Nähe gesehen hatte. Es war mir zu peinlich gewesen, wieder reinzugehen, still dazusitzen und etwas zu essen. Bestimmt würden sie in der Redaktion anrufen und sich beschweren – es sei denn, die Kritik wäre gut …
Zoe hatte mir eine kurze E-Mail zurückgeschrieben.
»Vielen Dank dafür. Muss ja echt unglaublich gewesen sein, um so von dir gelobt zu werden. Komisch, ich hatte gehört, es sei grauenvoll. Alles okay bei dir?«
Wie traurig, dachte ich. Wenn die Leute einen schon fragen, ob alles okay ist, nur weil man mal was Nettes sagt. Man stelle sich Hermans glückliches Gesicht vor, wenn er es liest.
»Ich mag eben Pizza«, antwortete ich und klappte mein Notebook zu.
Es war kurz vor sechs, und wir standen draußen vor der Hausnummer 16 in der Charlotte Street. The Fitzroy Tavern. Ecke Windmill Street.
»Das ist doch blöd«, sagte ich.
»Früher hat Dylan Thomas hier getrunken!«, sagte Dev. »Man fragt sich, wieso jetzt nicht mehr.«
»Das ist doch blöd«, sagte ich noch mal. »Lass uns irgendwo anders hingehen.«
»Hast du mich nicht gehört? Hier hat schon Dylan Thomas getrunken! Wo willst du denn hin? In ein Wetherspoons? Ganz toll. Da treffen wir doch nur irgendwelche Fernsehfuzzis.«
»Dylan Thomas wirst du hier jedenfalls nicht treffen! Und seit wann geht es darum, jemanden zu
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