Auf den ersten Blick
erleben! Wir werden reisen, und dann werden wir uns irgendwo niederlassen und ein Wohnzimmer mit großen Fenstern haben, durch die den ganzen Tag die Sonne scheint, und Regale voller Bücher, und dann mieten wir eine kleine Wohnung in New York oder vielleicht Paris, wenn wir ein Kind bekommen und nicht genügend Flugmeilen haben, um Business Class fliegen zu können. Ich werde mich in meinem Beruf hervortun, und du wirst auch einen haben, denn ich bin modern und ermutige dich in solchen Dingen, und wenn wir etwas älter sind, trägst du eine kleine, rechteckige Brille und lange Strickjacken, und wir werden immer noch Händchen halten und im Park spazieren gehen und uns was zu essen aus dem Imbiss holen, denn nur weil man alt ist, heißt das ja nicht, dass man nicht auch cool sein kann.
Emily war sogar ein Jahr jünger als ich, was – wie jeder weiß – genau das Alter ist, das eine Freundin haben sollte. Inzwischen drehte und wendete ich so gut wie jede Kleinigkeit, bis sie passte, bis sie zu unserem Schicksal wurde. Jetzt musste ich nur noch irgendwo mit ihr zusammentreffen, und deshalb verließ ich den Unterricht in der Hoffnung, sie vielleicht auf dem Flur zu treffen. Ich radelte an ihrem Haus vorbei, mit meiner verspiegelten Pilotenbrille, und stellte mir vor, ich würde einen Raub verhindern oder einem kleinen Kind das Leben retten, um auf mich aufmerksam zu machen. Emily Pye verwandelte sich von jemandem, dem ich kaum einen Gedanken widmete, zu jemandem, an den ich unablässig denken musste, und zwar einzig und allein, weil sie verfügbar schien. Sie hatte mich bemerkt. Da war etwas! Ich hatte einen Fuß in der Tür.
Also schrieb ich ihr einen Liebesbrief. Nun, eigentlich keinen Liebesbrief. Eine kurze Nachricht, in der stand: »Ich glaube, wir sollten uns mal treffen!«, wobei ich im Grunde nur vermied, wirklich mit ihr reden zu müssen, und ihr den Ball zuspielte, wenn auch unter einem Deck mäntelchen von Geheimnis und reifer Coolness. Und eines Abends, nachdem ich die Angelegenheit mit meinem eher gelangweilten Freund Ed besprochen hatte, dachte ich: »Ja, ich tu’s«, denn in meinem dummen, jugendlichen Leichtsinn glaubte ich wirklich, dass sie nur darauf wartete. Auf meine Initiative. Auf diesen Moment.
Also schob ich ihr die Nachricht durch den Briefschlitz und radelte sehr, sehr schnell davon. Und ein, zwei Tage später …
Bzzzz.
Eine SMS riss mich aus meinen Erinnerungen an Emily Pye. Ich blieb stehen, Dev auch.
»Was ist?«, sagte er.
Tut mir leid, dass ich gestern so auf dich losgegangen bin. Du bist mir immer noch wichtig, Jase. Vielleicht sollten wir reden. Habe einiges zu sagen.
»Du weißt schon, wer«, sagte ich, und Dev machte ein »Aha«-Gesicht.
Ich starrte die SMS an. Am liebsten wäre ich nach Hause gegangen und hätte mich in mein Zimmer verkrochen. Niemals war die Formulierung »Habe einiges zu sagen« unattraktiver. »Habe einiges zu sagen« bedeutet: »Ich habe dir einiges zu sagen«, und »Ich habe dir einiges zu sagen« bedeutet: »Ich möchte, dass du absolut regungslos dasitzt, während ich dir genau erkläre, was ich von dir halte«. Und das konnte ich nicht ertragen. Noch nicht. Ja, irgendwann würde ich sie wohl wiedersehen müssen, denn schließlich waren wir ja noch Freunde, mehr oder weniger. Als Freunde waren wir immer am besten gewesen. Vielleicht war das der Grund, wieso wir nie mehr als das sein konnten.
Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche und sah Dev mit halbem Lächeln an.
Also, jedenfalls hörte ich nach ein, zwei Tagen von Emily Pye, über einen ihrer Freunde. Wie auch alle anderen an der Schule, von denen die meisten außerdem meinen Brief lasen. Wie sich herausstellte, hatte sie keine Ahnung, wer ich war. Nicht den leisesten Schimmer, kein »Ach so … wer, der Typ?«. Keinen Schimmer.
Und einmal mehr präsentiere ich Ihnen: Hoffnung. Ta- dah!
Hier und jetzt beschloss ich, die Fotos nicht abzuholen.
An diesem Abend waren Mum und Dad in der Stadt, zu Besuch aus Durham.
Sie sahen sich zum vierten Mal mit Jane und Erik von gegenüber Billy Elliot an und wohnten in ihrem üblichen Hotel in Bayswater. Sie haben noch nicht gemerkt, dass sie zwar zwölf Pfund sparen, indem sie dort wohnen, aber dafür zwanzig Pfund für das Taxi zum Theater und zurück bezahlen.
»Mir scheint, wir kommen immer nur zu dir!«, sagte Mum gewollt witzig, sobald sie mich sah. Wir waren wie immer beim Ungarn, dem Gay Hussar oben an der Greek Street. Wir essen immer
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