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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
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dort, weil Dad sich gern die Karikaturen an den Wänden anschaut, die von Michael Howard und John Cole, damit er so tun kann, als hätte er sein Leben lang im Zentrum des politischen Geschehens gestanden, obwohl er es hauptsächlich im Zentrum von Bryant & Hawesworth – Stuckaturen und Vertäfelungen verbracht hat. Mum mag die gekühlte Wildkirschsuppe, obwohl ich glaube, sie mag lieber davon schwärmen, als dass sie sie wirklich mag. Für uns hat sie jedenfalls nie welche gekocht.
    Seit Sarah und ich uns getrennt hatten, kam es mir vor, als würden sie sich gar nicht mehr so freuen, mich zu sehen. »Warum nur?«, hätten sie am liebsten geheult. »Warum nur hast du uns Sarah genommen?«
    Doch sie waren loyal. Sie würden mich immer lieben. Dennoch fühlte ich den leisen Vorwurf, dass ich irgendwie ihre Zeit verschwendet hatte. Es machte mich wieder zu einem Teenager.
    »Na ja, und ihr kommt nur hierher, um euch Billy Elliot anzusehen«, sagte ich schließlich.
    »Wir kommen hierher, um dich zu sehen«, sagte Dad. » Billy Elliot ist nur ein Bonus.«
    »Wie läuft’s denn so?«, fragte Mum, trieb das Gespräch wie üblich an. »Was macht das ›Schreiben‹?«
    Ich überhörte die Gänsefüßchen.
    »Geht gut, ja«, sagte ich. »Hab noch ein paar Aufträge, die ich heute Abend wegschicken soll, also muss ich …«
    Ich konnte sehen, wie ihre Miene leicht abrutschte.
    »Anderenfalls … du weißt schon. Das Geschäft ist hart. Und dann die Rezession.«
    »Na ja, und Lehrer willst du ja nicht mehr sein«, sagte sie und nickte vor sich hin. »Obwohl es natürlich immer noch eine Möglichkeit wäre, oder? Aber du willst eben nicht mehr. Oder?«
    »Ja«, sagte ich und musterte eine Wurst.
    Vermutlich sollten wir über Stephen sprechen. Doch ich ließ das warme Rampenlicht noch eine triumphale Sekunde lang auf mich gerichtet, bis ich sagte: »Und wie geht es Stephen?«
    »Sehr gut!«, riefen beide beinah unisono.
    Meinem Bruder Stephen ging es immer gut. Aber das ist keine von diesen Geschichten über geschwisterliche Rivalität. Ich neidete ihm sein Leben nicht. Was nicht heißen soll, dass es nicht gut war. Es war großartig, wenn man auf so was steht. Inzwischen war er Bezirksleiter bei MayTel, seine Kinder waren gesund und braun gebrannt, seine Frau war lustig und beherzt und stand bis zur Hüfte in der Planung ihres brandneuen, azurblauen Swimmingpools. Weihnachten wollten sie wiederkommen, sagte Mum, und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich dieses Jahr wohl mehr aufmunternde Worte als Geschenke bekommen würde.
    Nein, ich neidete Stephen sein Leben nicht, nur seine Zielstrebigkeit. Er hatte seinen einmal eingeschlagenen Weg nie verlassen. Von der Uni über seinen ersten Job in Singapur, seine Begegnung mit Amy in der Firma gleich in der ersten Woche und die Gründung seiner Familie bis zu seinem Aufstieg in der Firma, der mit bierernster Berechenbarkeit vonstattenging. Es war, als hätte er alle seine Fünfjahrespläne auf einmal bekommen und gleich in ein Excel-Dokument eingegeben, um einen nach dem anderen abzuhaken. Ich freute mich für ihn, war aber auch frustriert. Er war glücklich, und ich hatte eine gutbürgerliche Pleite erlebt. Eine, die mich dar an erinnerte, dass ich für mein Leben selbst verantwortlich war.
    »Und … hast du Sarah in letzter Zeit gesehen?«, fragte Mum wagemutig mit einem Funken leiser Hoffnung in den Augen.
    »Ja!«, hätte ich gern gesagt. »Ja, das habe ich ganz vergessen zu erzählen! Es ist alles wieder im Lot! Wir haben uns auf einen Milchshake getroffen, und da hat sich rausgestellt, dass das Ganze nur ein Missverständnis war. Alles ist wieder in Ordnung!«
    Das hätte ich ihr zuliebe gern gesagt. Ich glaube, ich hätte es auch mir zuliebe gern gesagt.
    »Sie ist verlobt«, sagte ich und nickte, und unter dem Tisch drückte Dad Mums Hand, ganz fest.
    Ich hatte zu tun.
    Diese Kritiken. Eine Achtzig er-Best-Of … (ganz einfach – lass ein paar Songtitel fallen, tu so, als wären wir heutzutage tausendmal cooler, reiß den einen oder anderen flauen Witz über die Achtzig er). Ein amerikanischer Import einer Folkband mit Bärten (such ein paar Zitate, die sich anhören, als wüssten die, was sie da treiben, und formuliere sie um). Und eine Dokumentation, die beim Sun dance Festival gut gelaufen war, über Tiere, die malen kön nen (und die ich mir allen Ernstes würde ansehen müssen).
    Aber das war natürlich genau der Grund, weshalb ich kein Lehrer mehr war. Oder zumindest

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