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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
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Einflüsse und mutmaßliche Helden erkennen können. Es gibt da draußen solche Leute. Spiel ihnen den ersten Trommelschlag vor, und sie fangen an, über Led Zeppelin oder Limp Bizkit oder darüber zu schwadronieren, dass sich alles auf den Mann zurückführen lässt, der den Ententanz geschrieben hat. Dev kann das mit Videospielen. Er kann sich ein Spiel ansehen und dir sagen, was es sein will, woher es die Idee hat, womit es gekreuzt wurde und wie gut es gemacht ist, aber ich kann so was nicht. Weil ich eine ganz andere Sorte Mensch bin.
    Vielleicht bin ich als Rezensionsredakteur genau richtig, dachte ich. Vielleicht ist es meine Spezialität, keine Spezialität zu haben. Auch wenn ich mich ganz gut mit Hall & Oates auskenne.
    (Womit alles anfing? (She) Got Me Bad. Bester Song? Las Vegas Turnaround. Bestes Album? Big Bam Boom. Bestes Mitglied? Hall. Oder Oates, je nachdem, wer einem lieber ist. Bestes …)
    »Was zum Teufel ist das?«, sagte eine Stimme aus dem Nichts. Ich fuhr auf meinem Stuhl herum. Robs Stuhl, egal … und drehte die Musik leiser. Es war Zoe.
    »The Kicks«, sagte ich und versuchte, sachkundig wie John Peel zu klingen. »Band aus Brighton, ist gerade auf Tour. Was hier gerade läuft, heißt Uh-oh .«
    »Die Single oder das Album?«
    Tss. Ich müsste nachsehen. John Peel hätte nicht nachsehen müssen.
    Lenk sie ab.
    »Hey, ich hab Croissants mitgebracht, wie du gesagt hast. Und noch ein paar andere Sachen.«
    »Jaffa Cakes auch?«
    »Die sind von … also, die sind von Jaffa Cakes.«
    Und mit diesem profunden, inspirierenden Wortwechsel begann ich, Jason Priestley, meine Amtszeit als Rezensionsredakteur bei London Now .
    Ich war glücklich. Das hatte ich mir gewünscht, als ich die St. John’s verließ. Ein Büro. Einen Platz zum Sitzen, unter Menschen, Mittagspausen, in denen ich mir Flusskrebs-Wraps und Cokes kaufen konnte. Ein Bollwerk der Geborgenheit.
    Natürlich hatte es auch an der Schule so etwas wie eine Gemeinschaft gegeben. Im Lehrerzimmer. Dem Ort, an dem wir plötzlich keine Lehrer mehr waren, dem Ort, an dem wir keine moralischen Instanzen mehr sein mussten. Es war einfach, dort zynisch zu sein. Es blieb einem gar nichts anderes übrig. Wenn man den ganzen Tag damit verbringt, Leuten zu sagen, wie sie sich benehmen und was sie für sich behalten sollen, ist das Lehrerzimmer geradezu ein Leuchtfeuer beigefarbener Lebensfreude. Eine Erleichterung. Ein glorreicher Ort, an dem einem im selben Moment die Last von den Schultern genommen wird, in dem man seinen Becher findet und Pulverkaffee und Zucker hineingibt und man sich plötzlich in eine Schlacht darum verstrickt sieht, wer das Unangemessenste über ein Kind zu sagen hat. Bis der Wasserkessel kocht, hat man mit den Kollegen schon fast alle Kinder niedergemacht, denen man je begegnet ist, und wenn ich »niedergemacht« sage, wissen Sie vermutlich, was manche Kollegen damit am liebsten meinen möchten. Man sagt, nur wer einen Krieg erlebt hat, weiß, wie das ist. Ganz ähnlich sieht es mit der Schulhofaufsicht aus. Und dann war da noch die finstere Unausweichlichkeit der Schulversammlungen. Öffentliche Ansprachen sind und waren noch nie mein Ding. Allerdings habe ich es fertiggebracht, mich um die Vortragspflicht zu drücken, bis auf einmal, und ich hatte mir geschworen, so etwas nie wieder zu tun. Es gibt nichts Entmutigenderes, als unheilbar Unmotivierbaren eine motivierende Ansprache zu halten. Es ist absolut demotivierend. Vor allem, wenn keiner der Anwesenden – man selbst am allerwenigsten – das glaubt, was man da sagt.
    Aber trotz allem – trotz der Kinder, trotz der Eltern, die eigentlich nie begriffen, worauf die Lehrer hinauswollten, und die Schule mit einem Kinderhort verwechselten – machte ich weiter. Wahrscheinlich wäre ich nie gegangen. Wäre da nicht Dylan Bale gewesen.
    Ein Schauer durchfuhr mich, und ich wischte das böse, kleine Gesicht aus meinen Gedanken.
    Denn es war sechs Uhr, und ich wollte nicht mehr an Kinder wie Dylan Bale denken.
    Und außerdem hatte ich was vor.
    Die Charlotte Street war voller Leute wie ich. Brave, ehrliche Arbeiter, das Tagwerk erledigt, mit ihren Herrenhandtäschchen und schicken Klamotten, strömten aus dem Fitzroy und drängten sich im Northumberland, und jeder einzelne sah so richtig glücklich aus. Ich war an allen vorbeimarschiert und an der nächsten Ecke eingebogen. Nun drückte ich mich in den kleinsten Pub der Rathbone Street, mit dem Gefühl, als hätte ich mir

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