Auf den ersten Blick
wir schließlich hielten.
»Ein Hochhaus?«
»Es ist nicht nur ein Hochhaus. Unten befindet sich ein Restaurant. Eins, das man nicht kennen würde. Es sei denn, man hieße Clem.«
»Das ist also das Muschel-Restaurant?«
»Nein. Ich meine, ich weiß nicht. Vielleicht. Wir schrei ben eine Kritik darüber. Davon gehen die da drinnen jeden falls aus. In Wahrheit sehen wir uns den Laden nur mal an.«
»Du bist darauf eingestiegen«, sagte er begeistert, nahm mir das Foto aus der Hand und begriff. »Allerdings sieht sie auf diesem Foto etwas maskulin aus.«
»Das ist Chunk, wie wir ihn von nun an nennen werden.«
Wie sich herausstellte, ist das Oslo Court ein altmodisches Restaurant. Altmodische Einrichtung. Altmodische Männer in altmodischen Uniformen rollen altmodische Servierwagen zu Leuten, die es gern altmodisch haben.
Für ein Rendezvous war es nicht gerade geeignet. Eher für ein Essen mit Firmenkunden. Vielleicht war es das ja auch. Vielleicht war das Mädchen eine Firmenkundin. Oder er. Und sie hatten einfach beschlossen, die ganze Woche miteinander zu verbringen, Parks und Bars und Läden wie das Oslo Court zu besuchen. Denn so was machten platonische Geschäftsleute. Platonischerweise.
»Haben Sie schon entschieden, was Sie essen möchten?«, fragte ein Kellner.
»Ich nehme die Muscheln!«, sagte Dev. »Und mein Freund auch!«
»Eigentlich wollte ich …«
»Komm schon! Wir sind doch wegen der Muscheln gekommen, oder?«
»Na ja …«
»Schließlich sind wir doch nur wegen der Muscheln hier …«
Verächtlich betrachtete ich meine Muscheln, und ich könn te schwören, dass sie den Blick erwiderten. Dev zückte die Einwegkamera und knipste mich, wie ich so tat, als wollte ich eine davon zum Reden bringen.
Ich bin nicht sicher, ob ich ein professioneller Restaurantkritiker sein sollte.
»Und hast du es jetzt gemacht?«, fragte Dev. »Die Sache mit dem verborgenen London?«
»Sehr wohl, Sir.«
»Welches Bild?«
»Dieses hier.«
Ich holte die Fotos aus meiner Innentasche und fand das richtige. Ich wurde leicht ungehalten, als Dev mich dabei beobachtete. Ich wusste, was er dachte. Er dachte: Oha, jetzt trägt er sie auch noch mit sich rum, ja?
Dieses Bild war vermutlich an einem kalten Tag entstan den. Ihre Wangen waren rot, und ihr Atem hing in der Luft.
»Spaziergang im Park«, sagte Dev. »So würde ich dieses Foto nennen, wenn ich ein berühmter Künstler wäre.«
»Siehst du diese Eingänge? Wir haben sie vergrößert und nur ein Detail verwendet. Die sind ziemlich deutlich zu erkennen.«
»Wäre peinlich, wenn es nicht in London ist«, sagte Dev. »Wäre kein guter Einstieg für die Sache mit dem verborgenen London, wenn jemand sagt: ›Eigentlich ist das Russell Watsons Haus in Plymouth.‹«
»Da wohnt keiner. Das ist ein … Park. Ein Londoner Park. Man erkennt es daran, dass alles nass ist.«
Wir starrten einander an.
Dev sah aus, als wäre er stolz auf mich.
»Geheimes London« erschien in derselben Woche in der Zeitung. Ich schätze, es war wohl etwas dreist, diese paar Quadratzentimeter der Zeitung zu kapern und sie den Londonern unter die Nase zu reiben, nur weil ich es konnte. Keinem anderen hätte es was bedeutet. Ein kleiner Kasten auf einer Seite mit eingekauften Kreuzworträtseln und Sudokus und Cartoons, die nie eine Pointe zu haben schienen, sosehr man auch danach suchte.
Aber für mich … nun … für mich war es ein kleines Trojanisches Pferd. Und – hey – der Preis von fünfundzwanzig Pfund für die korrekte Antwort war auch nicht schlecht. Ich meine, es ist ja nicht so, als würden wir die Leser betrügen. Sie mussten nur die korrekte Antwort kennen.
Das einzige Problem war nur, dass ich die korrekte Antwort nicht kannte. Und die Leute würden die korrekte Antwort erwarten. Das ist im Grunde die einzige Voraussetzung für ein solches Quiz: dass tatsächlich eine korrekte Antwort existiert.
Trotzdem. Es wird schon klappen, dachte ich. Bestimmt findet sich ein Konsens. Vielleicht haben mittlerweile schon sechzig oder siebzig eifrige London-Now -Leser ihre korrekten Antworten gemailt, jede einzelne fundiert und verbürgt.
Bis mittags kamen drei Vermutungen.
Ich prostete mir selbst mit einem Becher Tee zu. Gerade hatte ich erfolgreich die erfolgloseste Rubrik in der Geschichte von London Now eingeführt.
Zoe lachte, als ich ihr davon erzählte, und meinte, ich sollte nächstes Mal ein Foto des Big Ben verwenden, aber ich wusste schon, was ich als Nächstes
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