Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
Vom Netzwerk:
nehmen wollte. Das Kino. Das betagte Kino mit seinem Samt und Popcorn und dem warmen, dunkelroten Licht.
    »Liegt denn wenigstens einer richtig?«, fragte Zoe, und ich machte ein Gesicht, das als »ja« begann und als »nein« endete, denn ich hatte mir noch nicht so ganz überlegt, wie ich eigentlich damit umgehen wollte.
    Ich sah mir die Vermutungen noch mal an und fragte mich, ob eine davon richtig sein mochte.
    Vermutlich würde ich wohl hingehen und nachsehen müssen.
    London im Sommer ist unschlagbar. Es ist, als käme die Stadt in der Sonne aus ihrem Versteck. Was einem alles auffällt, die Leute, die man sieht, die plötzliche Ruhe, die sich einstellt und die Mittagspausen entschleunigt.
    Das hatte ich heute schon auf dem Soho Square gemerkt, als ich die erste Mutmaßung zum ›Geheimen London‹ von Len aus Greenwich aufsuchte (tut mir leid, Len, voll daneben). Sobald die Sonne rauskam, ließen Arbeiter und Obdachlose offenbar alles stehen und liegen, lümmelten in der Hitze herum, klappten Plastikbrotdosen auf oder öffneten knallrote Smoothies oder schlurften zwischen Mülleimern herum, auf der Suche nach Zigaretten stummeln, aus denen sie sich Selbstgedrehte basteln konnten, je nachdem, auf welche Gruppe man sich gerade konzentrierte. Eine Horde Mädchen, von Kopf bis Fuß in Weiß, von der Friseurschule unten an der Straße. Sie musterten den Pub an der Ecke und überlegten, ob sie sich vor dem Lockenunterricht heimlich noch ein großes Glas Rosé genehmigen konnten.
    Und die Bäume. Noch nie waren mir die Bäume auf dem Soho Square aufgefallen. Waren die neu? Waren die schon immer da? Hoch und ausladend, wie sie waren, holte die Stadt sie nur bei Hitzewellen heraus, oder vielleicht bemerkte man sie erst, wenn man Schatten suchte.
    Und da stand ich nun, in Highgate, wo ich erst ein-, zweimal gewesen war, um eine alte Freundin zu besuchen, die mir von den Vampiren und Ghulen erzählt hatte, die angeblich nachts durch die Straßen schleichen. Es hatte da so etwas wie einen Edelmann gegeben, der Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in seinem Sarg nach England gebracht, auf dem Highgate Cemetary be graben, später jedoch von Satanisten wieder ausgegraben worden war und daraufhin zum »König der Untoten« wurde. Es ist doch traurig, dass manche Leute ihre wahre Berufung erst entdecken, wenn es zu spät ist. Es heißt, wenn plötzlich ein Vampirkönig in dein Viertel zieht, wäre die korrekte Vorgehensweise, ihn auszugraben, ihm einen Pfahl ins Herz zu rammen, ihn zu köpfen und dann zu verbrennen, doch wie schon damals hervorgehoben wurde, war das illegal und ungehobelt. Solche Geschichten wärmen mein Herz für Großbritannien. Selbst wenn es bedeutet, dass wir von Vampirkönigen überrannt werden.
    Ich trat durch das Friedhofstor und studierte meine Karte. Sam aus Wealdstone hatte darauf bestanden, dass er richtiglag.
    Er ist unheimlich, dieser Friedhof von Highgate. Bäume verdecken die Sonne, und im Licht des Nachmittags wirken die Mausoleen, Grüfte und Katakomben ungeduldig, als warteten sie auf die Nacht, als duldeten sie einen nur vorübergehend. Den östlichen Teil des Friedhofs finde ich okay. Ich mag den Schatten der Eichen und die ausgetrete nen Pfade und freundlichen Lichtungen. Nur auf den Westteil bin ich nicht so scharf. Der Efeu hat das Regiment über nommen, schlingt sich ausnahmslos um alles, erdrosselt die Gräber und verbirgt die gotischen Statuen und Monumente, lässt manchmal nur eine nackte Steinhand oder ein Augenpaar frei, als suchten diese das Licht, als kämpften sie gegen den Tod, von dem sie hier umgeben waren.
    Ich ging weiter, einen kleinen Hügel hinab, vorbei an verwitterten Grabsteinen, die kreuz und quer standen, wie schlecht eingehauene Nägel, hinüber zu der Stelle, deren sich Sam aus Wealdstone so sicher war.
    Sam aus Wealdstone war sich seiner Sache zu Recht so sicher.
    Da war es. Der eigenartige Bogengang, das Laub, das darüberfiel. Dieselbe Stelle, an der das Mädchen gestanden hatte, gesund und munter, lächelte in die Kamera, lächelte – gewissermaßen – mich an.
    Der Eingang zur Ägyptischen Allee.
    Eine Sekunde stand ich da und ließ sie auf mich wirken.
    »Und was hast du dann gemacht?«, fragte Dev später. »Rumgefragt? Einen Zettel aufgehängt?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob die Zettelaktion eine gute Idee war«, sagte ich, rührte meinen Tee um und dachte an die anderen beiden Nachrichten, die ich am Nachmittag von zwei kleinen Jungen aus Bermondsey

Weitere Kostenlose Bücher