Auf den ersten Blick
Billardtisch herum. Als Abbey weg war, ging eine Woge der Unsicherheit über mich hinweg. Ich über legte, was ich anhatte. Jeans, das war schon mal okay, aber es waren keine Jeans, wie diese Leute sie trugen. Ich wusste gar nicht, wo man solche Jeans kriegt. Ich trug ein Hemd, das ich im GQ gesehen hatte, und Converse-Treter, aber trotzdem stach ich aus der Menge hervor wie eine Giraffe. Wie alt waren diese Leute? Zwanzig? Einundzwanzig? Sie hätten allesamt meine Schüler sein können. Jeder von denen dachte womöglich: Ist das da ein Lehrer? Ist das etwa ein Ü 30 -Lehrer? Hier im Good Mixer? Mitten unter uns?
»Wie heißt deine Band?«, fragte ich den Jungen, doch er sah mich kaum an, vielleicht damit er sich bei mir nicht mit dem ansteckte, was einen alt machte. Er murmelte: »Bearpit Liars.«
»Super Name«, sagte ich, aber er nickte nur und ging einfach weg.
Und dann …
»Ta-daah!«
Es war Abbey. Sie war wieder da. Aber sie trug ihr Bowie- T-Shirt nicht mehr.
»Wo hast du das denn her?«, fragte ich entsetzt.
»Geklaut«, sagte sie.
»Du hast dieses T-Shirt geklaut? Wann?«
»Als ich in der Pizzeria auf der Toilette war. Ich finde, ich sehe damit ziemlich professionell aus.«
Ich las, was auf dem T-Shirt stand.
Ein magisches Stück Pizzahimmel! – Jason Priestley, London Now!
»Aber nur, weil es aussieht, als würdest du im Abrizzi’s arbeiten.«
»Nun, über deren Pizza habe ich nur Gutes gehört«, sagte sie. »Hey, wo ist Jay denn hin?«
»Jay? Jay, den du … geküsst hast?«
Okay, Jay. Du hast gewonnen. Sieht so aus, als würde ich bald gehen.
»Entspann dich«, sagte sie. »Wahrscheinlich küsse ich dich auch irgendwann.«
Oder vielleicht bleibe ich doch noch ein bisschen.
»Wollen wir spazieren gehen?«, sagte sie.
Ich weiß nicht, wer nach Mitternacht in Camden spazieren geht. In der Geschichte von Camden und den benachbarten Stadtvierteln ist bisher noch kein Mensch auf die Idee gekommen, nach Mitternacht an der Schleuse spazieren zu gehen. Darüber hinaus war mir, als hätte ich meine Meinung zu nächtlichen Spaziergängen durch Camden deutlich gemacht, wenn auch offenbar Abbey gegenüber nicht deutlich genug, denn sie schien mir wild entschlossen, nicht nur durch Camden zu spazieren, sondern bis runter zu den Hausbooten mit den Lampions und den bunt bemalten Wasserkannen, unter blinkenden, klapprigen, ganz und gar unzuverlässigen Straßenlaternen.
Aber wenn ein Mädchen gesagt hat, dass es einen möglicherweise irgendwann küssen wird, lässt man sich auf so manches ein. Selbst wenn es am Kanal stattfinden sollte.
Wir gingen noch etwas weiter, an zwei dunklen Gestalten vorbei, die ich für gemeine Raubmörder hielt, die sich dann jedoch als ein nervöser Mann mit Hund entpuppten.
»Und was war das jetzt für eine?«, fragte Abbey. »Diese Kamera, die du gefunden hast?«
Ich lächelte. Wieder die Kamera. Vielleicht stand sie einfach auf Kameras.
»Es war eine Einwegkamera.«
»Cooool«, sagte Abbey. »Echt oldschool. Die haben was. So eine Art Instant-Nostalgie. Als würden diese Fotos etwas bedeuten, weil man erst darüber nachdenken muss, bevor man abdrücken kann. Nicht wie die Milliarden Bilder, die man nach einem Abend auf der Piste im Handy oder sonst wo hat. Mit solchen Fotos kann man sich die Wände tapezieren. Einweg ist für die Ewigkeit.«
»Du solltest meinen Mitbewohner mal kennenlernen. Ihr würdet euch gut verstehen.«
»Und das Mädchen? Was ist mit ihr?«
Ich runzelte die Stirn.
»Woher weißt du, dass es da ein Mädchen gibt?«
»Na ja, als du gesagt hast, dass sie schwanger ist, habe ich es irgendwie angenommen.«
»Ach. Das Mädchen. Das Ex mädchen.«
»Du bist bald über sie hinweg.«
»Woher weißt du das?«
»Weil du nicht zuerst an sie gedacht hast. Sie kam erst an zweiter Stelle. Eines Tages wird sie die Dritte sein, und dann denkst du irgendwann gar nicht mehr an sie.«
Gedankenverloren trat ich nach dem Laub.
»Ja, es ist nur … du weißt schon. Nach unserer Trennung haben wir …«
» Wie habt ihr euch getrennt?«
Und als wir uns auf eine Bank setzten, fing ich an, Abbey alles zu erzählen, und sie starrte auf den Kanal hinaus, gab die angemessenen Laute von sich, stellte die richtigen Fragen, und dann machte ich mich bereit, ihr das eine zu erzählen, das ich Ihnen bisher verschwiegen habe.
Denn wir sind doch bis jetzt so gut miteinander ausgekommen, Sie und ich. Anfangs war es vielleicht nicht einfach, weil ich etwas mürrisch
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